Brief an Frau Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger / von Dr. Joh. Wasmuth
Frau Bundesministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
- persönlich -
Bundesministerium der Justiz
Mohrenstraße 37
10117 B e r l i n
Behandlung des Informationsfreiheitsgesetzes durch das Bundesministerium der Justiz
hier: Verletzung dieses Gesetzes durch das Bundesministerium wegen Ablehnung der Herausgabe einer falschen Unterrichtung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur sog. Industrie- und Bodenreform
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger,
mit einiger Verwunderung habe ich die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur Kenntnis genommen, wonach sie der Vorhaltung entgegentritt, Bundesbehörden seien bestrebt, Ansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz durch nicht rechtmäßige Praktiken zu vereiteln.
Daß dagegen die Feststellung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Der Grünen zutrifft, weiß ich sehr wohl aus eigener Anschauung. So ist ein schwerer Verstoß gegen das Informationsfreiheitsgesetz etwa darin zu sehen, daß mir Ihr Haus seit langem die Herausgabe von verwaltungsrechtlichen Stellungnahmen gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages zu den Petitionsverfahren Pfeiffer und Haars verweigert, die sich auf Verfolgungsaktionen des stalinistischen Terrors beziehen, welche entsprechend dem kommunistischen Sprachgebrauch in SBZ und DDR weiterhin verharmlosend und irreführend als Industrie- und Bodenreform bezeichnet werden. Dabei steht Ihr Haus unter dem dringenden Verdacht, noch unter Führung der Bundesministerin der Justiz Zypries den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages nachweislich falsch über Ausmaß und Unrechtsgehalt dieser Verfolgungsgehalt informiert zu haben. Ausweislich der daraufhin ergangenen Petitionsbescheide hat das Bundesministerium der Justiz die genannten Maßnahmen, welche ohne jeden Zweifel zu den rechtsstaatlich am bedenklichsten Unrechtsvorgängen in SBZ und DDR zählen, in wesentlicher Beziehung als bloße Enteignungen dargestellt. Dies geschah ganz offensichtlich mit dem Ziel, dem Petitionsausschuß klarzulegen, daß eine Wiedergutmachung für diese Unrechtsakte ausschließlich nach Maßgabe des Ausgleichsleistungsgesetzes zu erfolgen habe.
Mit der Darstellung der Vorgänge als bloße Enteignungen werden diese Verfolgungsvorgänge der stalinisch geprägten Willkürherrschaft in der SBZ aber unverantwortlich verharmlost und ihres tatsächlichen Unrechtsgehaltes in unverantwortlicher Weise entkleidet. Es steht inzwischen vielmehr außer Zweifel, daß die dabei durchgeführte Einziehung des gesamten betrieblichen und persönlichen Vermögens der Betroffenen nur ein Mittel der Verfolgung darstellte. Tatsächlich waren die sog. Industrie- und Bodenreform Aktionen einer unter gröbster Mißachtung aller rechtsstaatlichen Garantien durchgeführten Strafrechtsverfolgung, die auf der Grundlage eines Sonderstrafrechts, das durch Vorgängerorgane des Ministeriums für Staatssicherheit unter brutalem, ausschließlich politisch motiviertem Mißbrauch gesetzlicher Vorgaben durchgeführt wurde.
Die Aktionen verfolgten ganz offen das Ziel, mit den Mitteln des Entnazifierungsrechts eine gesellschaftliche Gruppe kaltzustellen, zu „vernichten“ und aus dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Leben nachhaltig auszuschalten. Zu diesem Zweck wurde gegenüber allen Betroffenen und zumeist auch noch gegenüber ihren Familienmitgliedern hoheitlich der kriminalstrafrechtliche Vorwurf, sich nach einem oder mehreren Kriminalstraftatbeständen als Nazi- und Kriegsverbrecher schuldig gemacht zu haben. Dies hatte neben der Einziehung des Betriebs- und Privatvermögens und der Altguthaben die brutale Vertreibung unter menschenunwürdigen Umständen, den öffentlichen Tadel als Schwerstkriminelle, die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, die Registrierung als Nazi- und Kriegsverbrecher, den Ausschluß aus dem Berufsleben mit Ausnahme niederer körperlicher Arbeiten und diverse andere Maßnahmen zur Folge.
Da die deutschen Repressionsorgane erst ab August 1947 für die Verhängung von Freiheitsstrafen gegen Kriegs- und Naziverbrecher zuständig wurden, sind die Betroffenen infolge des gegen sie von deutscher Seite erhobenen Schuldvorwurfs zusätzlich von sowjetischen Repressionsorganen verhaftet, in ehemaligen NS-Konzentrationslagern interniert, zu 25jährigen Freiheitsstrafen oder gar zu Todesstrafen verurteilt worden. Hunderte, wenn nicht gar Tausende der Betroffenen haben diese Maßnahmen nicht überlebt. Andere konnten sich derartigen Verfolgungsakten noch im letzten Moment durch eine Flucht in die westlichen Besatzungszonen retten. Diese Vorgänge als bloß rechtsstaatswidrige Enteignungen darzustellen ist nicht nur eine grobe Ungezogenheit, sondern eine gezielte Verhöhnung der Opfer, weil das ihnen zugefügte staatliche Unrecht schlicht als nicht existent hingestellt wird.
Aufgrund dieser Zusammenhänge steht außer Frage, daß den Betroffenen kein Anspruch nach dem Ausgleichsleistungsgsetz (vgl. § 1 I 2, Ia 2 AusglLeistG), sondern ein Anspruch auf strafrechtliche Rehabilitierung zusteht, sofern sie sich nicht ihrerseits als unwürdig erwiesen haben oder tatsächlich nicht strafrechtlich verfolgt wurden, weil gegen sie etwa wegen ihrer kommunistischen Gesinnung kein Schuldvorwurf erhoben und ihnen ein Resthof belassen wurde. Zur näheren Beschreibung der Vorgänge habe ich Ihnen zwei Beiträge in ZOV 2008, 232ff. und ZOV 2009, 8ff. beigefügt.
Wenn es zutrifft, daß das Bundesministerium der Justiz den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages über diese Verfolgungsgänge in der Weise unterrichtet hat, das Unrecht der sog. Boden- und Industriereform habe tatsächlich nur in der bloßen Enteignung der Betroffenen bestanden, dann ist dies im Rechtsstaat ein schwerwiegender Vorgang. Dies beweist bereits eine sehr einfache Kontrollüberlegung: Der wesentliche Verstoß gegen die Grundsätze des Rechtsstaats durch die kommunistischen Repressionsorgane lag darin, daß sie den Betroffenen einen Sachverhalt unterstellt haben, der vollständig nicht zutraf oder im wesentlichen erfunden oder der ersichtlich nicht geeignet war, den gegen sie erhobenen Schuldvorwurf zu rechtfertigen. Verfälscht nun seinerzeits das Bundesministerium der Justiz die tatsächlich unter kommunistischer Herrschaft durchgeführten Verfolgungsmaßnahmen mit dem erkennbaren Ziel, eine gesetzlich vorgesehene strafrechtliche Rehabilitierung der Betroffenen zu vereiteln, dann muß dies als ein ähnlich gravierender Unrechtsvorgang aufgefaßt werden.
Die Betroffenen haben immer wieder geltend gemacht, die Bundesrepublik Deutschland betätige sich als Hehler an dem von den kommunistischen Machthabern verübten Raub. Dies trifft das Unrecht, das dem Bundesministerium der Justiz mit der Verfälschung des Sachverhaltes der Verfolgungsaktionen mit dem Ziel der Vereitelung von strafrechtlichen Rehabilitierungsansprüchen vorzuhalten wäre, nicht in ausreichendem Maße. Vielmehr stellt ein solcher Vorgang nichts anderes dar als die sittenwidrige Perpetuierung des stalinistischen Repressionsunrechts. Ein dem Rechtsstaat in besonderem Maße verpflichtetes Staatsorgan wie das Bundesministerium der Justiz darf schon um der elementaren Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats so nicht verfahren.
Vor diesem Hintergrund ist die genaue Kenntnis der Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages von besonderer Relevanz. Gleichwohl wird mir deren Herausgabe bis heute in rechtswidriger Weise mit rechtlich unhaltbaren Ausflüchten verweigert.
Ihnen schreibe ich heute, weil diese Machenschaften noch von Ihrer Vorgängerin, Frau Bundesministerin Zypries, unwidersprochen hingenommen wurden. Aus diversen Äußerungen der FDP, der Sie angehören und deren rechtsstaatliches Profil Sie stärken möchten, weiß ich indes, daß Sie solche Vorgänge nicht dulden dürfen. Daher darf ich Sie bitten, mir folgende Fragen zu beantworten:
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Hält das Bundesministerium der Justiz seine Auffassung aufrecht, daß mir die Stellungnahmen des Ministeriums in den Petitionsverfahren Pfeiffer und Haars weiterhin nicht nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes zugänglich gemacht werden sollen?
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Hält das Bundesministerium der Justiz an der Darstellung fest, die Aktionen der Boden- und Industriereform seien bloße Enteignungsaktionen gewesen, die allein Ansprüchen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz zugänglich sind?
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Sollten Sie die letzte Frage positiv beantworten, bitte ich Sie des weiteren um Mitteilung, weshalb die Ihnen oben geschilderten Verfolgungsvorgänge nicht mit der tatsächlich in der SBZ durchgeführten Verfolgung übereinstimmen.
Abschließend darf ich noch folgendes klarstellen: Sie persönlich waren zwar bereits nach der deutschen Wiedervereinigung Bundesministerin der Justiz und damit auch für die juristische Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts in SBZ und DDR zuständig. Sie stammen, wie ich, aus dem schönen Westfalen und leben nun - neben Berlin - im ebenfalls schönen Bayern. Daher ist es nur zu verständlich, daß Ihnen, ebenso wenig wie mir, die beschriebenen Unrechtsvorgänge nicht bereits in den Jahren 1992 bis 1996 bekannt waren. Damals konnte mangels zeithistorischer und rechtswissenschaftlicher Aufarbeitung der Vorgänge in der Tat im wesentlichen nur mit einem Halbwissen operiert werden, das zudem zumeist aus der Verharmlosung und Verherrlichung der Vorgänge durch die kommunistische Propaganda in SBZ und DDR und die dadurch bestimmte DDR-Geschichtsschreibung gespeist war. Dies aber schließt es nicht aus, daß die Vorgänge heute vollständig anders beurteilt werden müssen und daher noch vollständig einer angemessenen Aufarbeitung, zu der die FDP auch in ihrem Wahlprogramm aufgerufen hat, harren.
Insofern bin ich sehr gespannt auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
(Rechtsanwalt)
P.S.: Da die in diesem Schreiben angesprochenen Vorgänge zahlreiche Personen interessieren, habe ich es auch an einige Interessierte zur Kenntnisnahme weitergeleitet.