Jüterbog -- Die Reaktion aus MAZ Ausgabe Mittelmark - 20.04.2012 MAZ LOKALES POTSDAM / MITTELMARK
Von Alexander Engels
Der Streit um die Scholle schwelt weiter
In der DDR wurde die Landwirtschaft zwangskollektiviert, doch die gerechte Rückübertragung nach der Wiedervereinigung misslang
JÜTERBOG - Die Wunden sind nicht verheilt. Die Wut brodelt. Der Glaube an den Rechtsstaat ist gestört. Solch heftige Emotionen kann Landwirtschaft auslösen.
Das zeigte eine Diskussionsrunde am Mittwochabend im Jüterboger Kulturquartier. Die Stasi-Unterlagen-Beauftragten von Brandenburg und Berlin hatten sie unter dem Titel „Vom Wir zum Ich – Landwirtschaft in Brandenburg 1989 bis 1995“ organisiert. Wer dachte, das Thema wäre längst abgehakt, täuschte sich. Es war ein Geschichtsabend mit Brisanz vor etwa 100 Zuhörern.
Er zeigte auch, wie unterschiedlich – oft auch völlig gegensätzlich – Forschung und Politik sowie Zeitzeugen untereinander die Wiedervereinigung und die Umbrüche in den Dörfern durch das Ende der kollektivierten Landwirtschaft beschreiben. Im Podium saßen der Historiker Arnd Bauerkämper, der brandenburgische Ex-Agrarstaatssekretär Günther Wegge, Landesbauernverbandschef Udo Folgart und Bauernbund-Präsident Karsten Jennerjahn.
Wer in Ostdeutschland Äcker bestellte oder Ställe betrieb, musste viele Umbrüche durchmachen. In einem groben Überblick erinnerte Bauerkämper an die Phasen der Zusammenlegung kleinbäuerlicher Betriebe zu großen Strukturen in der DDR von der Bodenreform über den sozialistischen Frühling bis hin zur Spezialisierung auf Tier- und Pflanzenproduktion. Die Wende brachte die Möglichkeit, dass sich Bauern oder ihre Nachkommen mit ihren Anteilen wieder aus den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) herauslösen konnten – theoretisch einfach, praktisch aber selten erfolgreich. Diese Eigentumsverquickungen verbunden mit Demütigungen sind bis heute die Ursache für Wut und Streit.
Die Bundesrepublik propagierte damals zwar den kleinbäuerlichen Familienbetrieb, förderte im Osten aber – zum Ärger der sogenannten Neueinrichter – die großen LPG-Nachfolger. Die Konflikte waren programmiert. Es ging um Geld, Flächen, Technik und Macht. Die Neugründer wollten ihren Anteil, die Großbetriebe wollten so wenig wie möglich hergeben. Die Treuhand sollte vermitteln.
Wegge: „Wenn ein Einzelbetrieb Land pachten wollte, dann hat er es bekommen.“ Dafür erntete er jede Menge Unmutsbekundungen. Auch Bauerkämper konnte mit seiner Argumentation das Publikum nicht immer überzeugen. Aus seiner Sicht fehlten vielen Landwirten damals Geld, Technik, umfassendes Fachwissen oder ausreichend große Flächen für eine Ausgründung aus der LPG. Nach Ansicht von Historikern und Betroffenen im Saal wurden die Bauern mit Wunsch zur Eigenständigkeit indes systematisch benachteiligt. Flächen und Technik seien ihnen verweigert worden, die Großbetriebe hätten sich bankrott gerechnet, um nichts auszahlen zu müssen, und die staatliche Förderung sei in die alten Strukturen geflossen.
Für die unterschiedlichen Sichtweisen standen auch die beiden Verbandsvertreter. Folgart führte damals eine LPG in die Privatwirtschaft („Es wollte bei uns niemand aussteigen.“) und sieht in Großbetrieben „oftmals die wichtigsten Arbeitgeber in den Dörfern“. Jennerjahn verließ seine LPG und musste sich mangels staatlicher Hilfe Tipps bei einem Onkel im Westen holen. „Die Politik betrieb keinen Strukturwandel, sondern hat die Strukturen der DDR erhalten“, sagte er.