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Schwarzbuch

< Das Straßburger "Bodenreform"-Urteil vom 22. 01. 2004 > und die Folgen


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Das Straßburger "Bodenreform"-Urteil vom 22. Januar 2004 und die Folgen

Anmerkungen zur Begründung der Bundesregierung für eine Anrufung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und zu den Stellungnahmen von Politikern und Parteistellen ( vor allem der SPD ) im Februar und März 2004

Das Bundesjustizminsterium - aber auch andere Stellen - begründen ihre Absicht, die Große Kammer des EGMR anzurufen mit der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils vom 22. Januar 2004 "für die Bodenreform, die nicht in Frage gestellt werden darf." Demnach also haben die Kläger in Straßburg die "Bodenreform" dadurch in Frage gestellt, daß sie darauf bestanden, daß "Junkerland in Bauernhand" bleibt ? Worum geht es denn eigentlich ?

Mit der "Bodenreform", im wesentlichen im Jahre 1945 exekutiert, sollte- über die Liquidierung von "Klassenfeinden" hinaus - landwirtschaftlicher Großgrundbesitz in kleinteiliges Privateigentum umgewandelt werden, zumindest nach offizieller Lesart ( Bodenreformgesetz v. 1945, Artikel I, Ziffer 1, letzter Absatz ). Demzufolge wurden etwa zwei Drittel der Agrarflächen "persönliches vererbbares Eigentum" von Neusiedlern mit Eintragung derselben in die Grundbücher. Ein Sperrvermerk gem. Art. VI des Gesetzes verbot ursprünglich die Teilung, Verpachtung und Verpfändung der Bodenreformwirtschaft. Dieses Veräußerungsverbot ist das Ergebnis einer "Umdeutung" nach Gründung der DDR ( s. Präambel der Besitzwechselverordnung von 1951

Im Jahre 1952 beschloß die SED den "Aufbau des Sozialismus" und damit auch die Zwangs- kollektivierung der Landwirtschaft nach stalinistischem Vorbild. Damit änderte sich auch die Bodenpolitik grundsätzlich.
Bislang wurden die Neusiedler mit teilweise drakonischen Maßnahmen dazu gebracht, ihr Land unbedingt zu behalten, selbst wenn ihnen dies aus persönlichen Gründen kaum möglich war. Nach dem SED-Beschluß war das nun nicht mehr zeitgemäß, denn "im Sozialismus gehört das Eigentum an Produktionsmitteln in die Hände des Staates". Folgerichtig wurde Bodenreform-Eigentum verstaatlicht bzw. in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eingebracht. Dies, um renitente Verweigerer des Eintritts in die LPG'n "weichzuklopfen", wenn mit dem Land nicht genügend Arbeitskräfte in die LPG eingebracht wurden, wenn man statt der LPG ein "Volkseigenes Gut -VEG" gründen wollte - oder einfach aus Prinzip.

Bis 1975 fehlte dafür jede rechtliche Grundlage; die bis dahin geltende Besitzwechselverordnung sah nämlich vor, daß zurückgegebene oder entzogene Bodenreformwirtschaften unverzüglich an neue Bewerber zu vergeben wären. Erst mit der Besitzwechselverordnung von 1975 hatte man eine "Schubladenverordnung" geschaffen, mit der im Bedarfsfall das Erbrecht des Zivilgesetzbuches praktisch ausgehebelt werden konnte.
Erhielten in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise 130.000 Familien Agrarland aus der "Bodenreform", so büßten 80.000 von ihnen das "persönliche vererbbare Eigentum" bereits in der DDR-Zeit wieder ein. Mit der Wiedervereinigung erklärte die Bundesrepublik sich zum rechtmäßigen Eigentümer dieser Flächen, ohne zu prüfen, ob die Entziehung des Landes durch die DDR überhaupt - und in jedem Einzelfall - dem Rechtsstaatlichkeitsgebot des Art. 19 des Einigungsvertrags standhielt. Was die roten Schergen "übersehen" hatten, durften sich ab 1992 der Fiskus in den jungen Ländern holen..

Die Bundesregierung und die 5 bzw. 6 Länder geben vor, die "Bodenreform zu verteidigen".

In Wahrheit verteidigen beide aber Eigentums- und Besitzstrukturen, die nicht zwischen 1945 und 1949 entstanden sind, sondern nach 1952 als Ergebnis der berüchtigten Zwangskollektivierung.
Soll das nun folgerichtig heißen: Die Politik der Bundesregierung - und sogar die "Fachkompetenz" des Bundesjustizministeriums - will jetzt für die systematische, nur zu DDR-Zeiten nicht vollkommen "gelungene" Verstaatlichung von Grund und Boden durch das SED-Regime stehe

Dem Beobachter dieser Szenerie nach dem für die Verantwortlichen wohl allzu unerwarteten einstimmigen und eindeutigen Richterspruch aus Straßburg darf man wohl nicht verargen, wenn er diese, hier kurz skizzierte Verworrenheit der offiziellen Erklärungen als Ausdruck von geradezu hilfloser Konzeptionslosigkeit deutet. Die Probleme werden dadurch für die Verurteilten noch größer - und der "Flurschaden" für Rechtsstaat und Ansehen der "neuen Ordnung" in den jungen Ländern allmählich unreparierbar.

Der Verfasser, Karl Homer, ist von Beruf Diplom-Landwirt, war bis 2003 Amtsleiter einer Agrarbehörde, davor im Agrarministerium in Brandenburg
tätig und verfügt über vielseitige Erfahrungen, auch aus der DDR-Zeit, in den Bereichen Agrarpolitik und 'Ländliche Räume'.
Er ist seit kurzem Mitglied des ARE-Bundesvorstandes.

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