"Privatgeschöpfe" auf dem "juristischen Olymp"
"Privatgeschöpfe" auf dem "juristischen Olymp"
Das Bundesverfassungsgericht verspielt immer mehr Ansehen und Substanz
Kolumne von Ulrich Landskron, 30.05.2001
Kaum hat sich der "public mainstream" mehr oder weniger tiefschürfend des Themas der Embryonenvernichtung ("Präimplantationsdiagnostik") angenommen, so darf offenbar eine Positionierung der neudeutschen Entscheidungsträger nicht fehlen. Mitreden ist dann alles, Schweigen ist "nicht in" – so dachte wohl auch Jutta Limbach (SPD), Nachfolgerin Roman Herzogs als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Zwar gibt es noch gar keine aktuellen Gesetze zu den neuen Fragen der Menschenwürde in der Biomedizin, geschweige denn Beschwerden zu Gesetzen oder Rechtsanwendungen, aber was soll´s: Frau Limbach spricht am 24. Mai d.J. dass es um die Frage gehe "ob bei Nachweis einer Schädigung der in vitro gezeugte Embryo transferiert oder auf Wunsch der Mutter hin vernichtet werden soll". Aha. "Die Biopolitik ist in Karlsruhe angekommen" vermerkt daraufhin – wohl leicht ironisch – das FAZ- Feuilleton.
Die Biopolitik wohlgemerkt und das angesichts der ständigen Klage der "Überlastung" beim Bundesverfassungsgericht. "Als Privatgeschöpf" wolle sie sich äussern, so die frühere Senatorin. Sie hat sich bekanntlich in Berlin schon früher "geäussert", so beispielsweise durch ihre Nach-Wende-Einschätzung der Stasi und des MfS als eines "im wesentlichen normalen Nachrichtendienstes". Vor der Wende ging die Streichung der Berliner Beiträge für die Registrierung von DDR-Verbrechen in Salzgitter mit auf ihr Konto. Und später ist – in der peinlichen Frage der Behandlung der Vermögensrestitutionen von ihren Quasi-Anweisungen an Behörden zu berichten, "geeignete Gründe" gegen die Rückgabe weggenommenen Eigentums zu finden, das sich im Beutebesitz des Fiskus bzw. der Kommune befindet. Dr. Rainer Beckmann von der Enquete-Kommission des Bundestages wundert sich zwar auch etwas, dass die Frau Präsidentin sogar den zentralen Artikel 1, Satz 1 des deutschen
Grundgesetzes ungenau zitiert, als Jurist irritiert ihn aber wohl noch mehr, dass es Frau Limbach gar nicht um Klärung der grundlegenden Verfassungsfragen - wie Lebensrecht, Menschenrecht und Menschenwürde - geht, sondern um mehr oder weniger undurchschaubare Abwägungen von Chancen und Risiken - offenbar auch Interessen.
Das Szenario beleuchtet exemplarisch den Niedergang der Institution, aus der immer häufiger statt Klarheit Verquastes, statt Rechtsfrieden Gewichtung von Partei- und Fiskalinteressen, statt Verfassungsschutz Politikersatz quillt.
Traurig, aber wahr: Mit der einst von Persönlichkeiten wie Gebhard Müller, Ernst Benda, aber auch Kirchhof und Böckenförde geprägten Institution, heute eher als "juristischer Olymp" in Anspielung auf diesher "menschelnde" Götterwelt der Griechen ironisiert, ist es seit Roman Herzogs "neuer Linie" denkbar schlecht bestellt. Sein denkwürdiger Verrat der Unbefangenheit als höchster Richter in "Doppelfunktion" (Berater der DDR-Volkskammer in Sachen Erhaltung von SBZ/DDR-Unrecht und zugleich in dieser Frage entscheidender Präsident) hat einen Niedergang eingeläutet, in dessen Verlauf jetzt Auftritte a la Limbach nur noch ergänzend den erreichten Stand kennzeichnen und illustrieren, wohin die Reise zu gehen droht: In den weiteren Verfall nicht nur der politischen Kultur, sondern auch des Rechtsstaats...
Wachsamkeit, Kritik und Widerstand sind angesagt, im Namen des Rechtsstaats.