Erst am Donnerstag vergangener Woche hat das Kammergericht Berlin ein bezeichnendes Urteil gefällt. Ein Gespräch, das der „Focus“ mit dem Schauspieler Ulrich Mühe über die Stasi-Verstrickung seiner früheren Ehefrau Jenny Gröllmann geführt hatte, darf nicht mehr verbreitet werden. Nach der Auffassung des 10. Zivilsenats überschreitet die Veröffentlichung den Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung. Einem unbefangenen Leser erschließt sich diese Interpretation nicht ohne weiteres.
Überhaupt fragt sich, weshalb nur in Form eines Verdachts über diesen Fall berichtet werden darf. Der Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin kommt in einem Sachverständigengutachten zum Ergebnis, Gröllmann habe zweifelsfrei einen Bund mit der Stasi geschlossen. In einer mehrseitigen Stellungnahme der Birthler-Behörde heißt es, die Schauspielerin habe „wissentlich und willentlich“ mit dem Geheimdienst kooperiert. Doch solche Darstellungen dürfen sich Journalisten nicht zu Eigen machen. Nach herrschender Rechtsprechung bestehen an der IM-Tätigkeit letzte Zweifel, zumal Gröllmann die Vorwürfe trotz einer 500 Seiten umfassenden Akte bestritten hatte.
Die Widersacher, die im Zentrum dieses Konflikts stehen, sind beide längst tot. Dennoch will das Magazin aus dem Burda-Verlag jetzt vom Bundesgerichtshof (BGH) grundsätzlich klären lassen, welche Beweiskraft die schriftliche Hinterlassenschaft der Stasi besitzt. Den Weg nach Karlsruhe haben die Berliner Richter allerdings versperrt. Trotz ausdrücklicher Bitte der unterlegenen Partei ließen sie keine Revision zu. Dagegen muss nun zunächst Beschwerde eingelegt werden.
Die Kosten solcher Prozesse, die ohne teure Fachanwälte kaum mit Aussicht auf Erfolg geführt werden können, erreichen rasch fünfstellige Summen. Kleinere Verlage und klamme Aufarbeitungsinitiativen überfordern solche Beträge. Einstweilige Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden deshalb meist widerstandslos hingenommen. Mehr noch, angesichts der finanziellen Risiken wird häufig von vorneherein darauf verzichtet, das zu veröffentlichen, was in den Stasi-Akten steht.
Wenn Anti-Demokraten den Rechtsstaat bemühen
So unterstützt die Justiz zumindest indirekt die Strategie der Täter, die ihr kompromittierendes Treiben in der Diktatur mit einem Tabu belegen und damit zugleich die historische Darstellung der DDR-Geschichte verklären wollen. Selbst wenn die Fakten eindeutig eine Verstrickung belegen, weil persönliche Verpflichtungserklärungen, handgeschriebene Spitzelberichte oder aussagekräftige Kaderakten vorliegen, stellt die Offenlegung von Stasi-Biografien ein kaum überschaubares juristisches Wagnis dar. Der jüngst beurlaubte Magazinchef der „Berliner Zeitung“ drohte Unterlassungs-, Gegendarstellungs-, Widerrufs-, Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche an, um zu verhindern, dass seine IM-Karriere publik wird. Der Personalchef von Gazprom Germania, der sich gleich zwei Mal als Stasi-Spitzel verpflichtet, versucht mittlerweile in zweiter Instanz, die Berichterstattung über ihn zu unterbinden.
Jene, die in der Diktatur rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen getreten hatten, bemühen in der Demokratie vehement den Rechtsstaat. Das dürfen sie, kein Zweifel. Dass sie sich dabei allerdings zu angeblichen Opfern stilisieren, muss die tatsächlichen Opfer des SED-Regimes ebenso empören wie eine Rechtsprechung, die zunehmend ehemalige Täter begünstigt. Weil Aufarbeitung in der Anonymität nicht funktioniert, dürfe der Verrat nicht geschützt werden, hat Marianne Birthler erst kürzlich in dieser Zeitung betont.
Diese Auffassung hat im Februar 2000 auch das Bundesverfassungsgericht vertreten. Deutschlands oberste Richter berieten damals über eine Beschwerde des „Neuen Forum“, das in seinen Büroräumen in Halle eine IM-Liste mit Klarnamen ausgelegt hatte. Dies war vom BGH verboten worden. Zwar nahmen die Verfassungsrichter den Fall nicht zur Entscheidung an. Doch sie formulierten interessante Leitsätze und rügten den BGH-Spruch als „verfassungsrechtlich nicht unbedenklich.“ (Az: BvR 1582/94)
Hoffnung auf Karlsruhe
Damals stellte das Bundesverfassungsgericht fest: „Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären.“ Diese Feststellung bezogen die Richter nicht nur auf den Inhalt einer Äußerung, sondern auch auf ihre Form. Der DDR-Geheimdienst wurde als „besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteinsystems“ bezeichnet. Allein daraus begründe sich ein besonderes Aufklärungsinteresse.
Über die damals formulierten Grundsätze setzen sich Richter in den unteren Instanzen regelmäßig hinweg. Schon deshalb wäre es wünschenswert, dass einer der strittigen Fälle der Nennung von Klarnamen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter auf dem Tisch des Bundesverfassungsgerichts landet. Das zweite Versagen der Justiz im Umgang mit dem Unrecht der Geheimpolizei könnte so womöglich noch abgewendet werden.
Ist es in Ordnung, dass ein ehemaliger Spitzel eine Ausstellung über die DDR verbieten lassen kann?
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