Brief an die FAZ anläßlich der Entscheidung des EGMR vom 30. März 2005
Eingestellt von Dr. Johannes Wasmuth (Gastbeitrag) am 9. April 2005 - 17:00.
EGMR Straßburg | Nein
Brief an die FAZ von Dr. Johannes Wasmuth ( München ):
langjähriger Lektor des juristischen Fachverlags Beck, anläßlich der Entscheidung des EGMR vom 30. März 2005:
Wegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu den verharmlosend als Boden- und Industriereform bezeichneten Verfolgungsvorgängen dürfte eine rechtsstaatlich gesonnene Bundesjustizministerin aus drei Gründen nicht erleichtert sein:
- Weder der EGMR noch das BVerfG haben zu begründen vermocht, weshalb es nicht willkürlich sein soll, daß die Bundesrepublik eine Vermögensrückgabe als Wiedergutmachung bislang allein für Personen gewährt hat, die in der DDR vergleichsweise glimpflich beeinträchtigt wurden, während Opfer der Boden- und Industriereform, die persönlich (politische und gesellschaftliche Ausgrenzung, Internierung, Ermordung) und vermögensrechtlich gravierend verfolgt wurden, mit minimalen Ausgleichsleistungen abgefunden werden.
Daß das BVerfG seiner Prüfung einen Maßstab zugrunde gelegt hat, welcher per se der Willkür Tür und Tor öffnet, macht sie nicht plausibel. Im Rechtsstaat darf staatliche Willkür niemand erleichtert zur Kenntnis nehmen. - Erleichtert zurücklehnen darf sich auch niemand darüber, wie Bund und neue Länder mit den Vermögenswerten der Opfer umgegangen sind:
Die Arbeit der Treuhandanstalt etwa ist immer wieder gekennzeichnet durch schwere Mißwirtschaft,Beseitigung von Produktivvermögen und mutwillige Vernichtung von Arbeitsplätzen, Formen des Versagens mit gigantischem Schaden für Volkswirtschaft und Aufschwung in den neuen Ländern.
In der Landwirtschaft haben sich in weiten Bereichen Altvordere der Blockparteien-Nomenklatura, oft skrupellos auf Kosten früherer LPG-Bauern, breit gemacht, ohne daß dagegen je wirksam eingeschritten worden wäre.
Das zehrt nicht nur an der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates, sondern ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer. - Anlaß zur Erleichterung wegen nun herrschender Rechtssicherheit besteht ebenfalls nicht. Die bisherige Spruchpraxis der Gerichte geht durchgängig von der Fehlvorstellung aus, daß Boden- und Industriereform vermögensrechtliche Sozialisierungsmaßnahmen waren. Das ist historisch falsch. Die Boden- und noch eindeutiger die Industriereform waren strafrechtliche Maßnahmen, die den Zweck verfolgten, Landwirtschaft und Wirtschaft zu entnazifizieren. Deshalb sind den Betroffenen jeweils konkrete Vorwürfe als Nazi- und Kriegsverbrecher gemacht worden, für die Sanktionen verhängt wurden.
Wenn bislang etwa das OLG Dresden als strafrechtliches Rehabilitierungsgericht dennoch gemeint hat, Vorwürfe und Sanktionen seien nur plakatives Beiwerk von Eigentumszugriffen im Bereich der Wirtschaft gewesen, so läßt sich auch dies inzwischen widerlegen:
Die Verfolgung hing vielmehr konstitutiv vom Vorwurf als Nazi- und Kriegsverbrecher ab und die Sanktionen beschränkten sich nicht auf den bloßen Vermögenszugriff. Die Erkenntnis vom strafrechtlichen Charakter der Verfolgung eröffnet aber jedem Opfer die strafrechtliche Rehabilitierung, die nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und dem Einigungsvertrag ausdrücklich auch für Verfolgungsvorgänge unter sowjetischer Besatzungshoheit gilt und als Folge Rückgabeansprüche auslöst.
Die Frist für Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung läuft erst am 31. Dezember 2007 ab.
Dr. Johannes Wasmuth; Rechtsanwalt
Kobellstraße 11; 80336 München