Das Geld, die Gier und der Hebel ...... von J. Selenz
Selenz` Kommentar 8. Oktober 2008 www.hans-joachim-selenz.de
Die Börsen-Zuckungen weltweit erinnern mittlerweile an Fieberkurven eines Todkranken. Tages-verluste im zweistelligen Prozentbereich sind keine Seltenheit. In kurzer Zeit lösten sich Milliarden-werte in Wohlgefallen auf. Zunehmend ist Panik im Spiel. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die geplatzte US-Immobilienblase. Die Finanzkrise kriecht über Grenzen und Ozeane und greift nun auch auf die Realwirtschaft über. Gründe sind unkontrollierte Gier sowie Struktur-Defizite des globalen Finanzgebäudes. Erste Not-Reparaturen zeigten bis dato noch keine erkennbare Wirkung. Das wird verständlich, wenn man die fragile Statik des Gebäudes betrachtet. Die Finanzprodukte, aus denen es erbaut ist, sind selbst vielen so genannten Finanzexperten nicht bekannt. Klaus-Peter Müller, Ex-Commerzbank-Chef und aktueller Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken, bekennt freimütig, es gäbe Finanzprodukte, die selbst er nicht verstanden habe. Da geht es ihm wie vielen seiner Kunden. Die bangen nun um ihre sauer ersparten Einlagen. Was war geschehen?
Um Renditen von 20 Prozent und mehr einzufahren – und zwar Jahr für Jahr – war konventionelles Handeln mit Wertpapieren für einen modernen Banker schon lange nicht mehr ausreichend. Zu einem der wichtigsten Werkzeuge innovativer Finanzakrobaten entwickelte sich daher der Hebel. Mit seiner Hilfe kann man mit geringen Kräften gewaltige Massen bewegen. Merke: „Gewaltig ist des Werkers Kraft wenn er mit dem Hebel schafft.“ Mit dem Hebel erschufen die alten Ägypter be-reits die Pyramiden. Der Hebel hat die Entwicklung der Menschheit entscheidend beeinflusst. Zum Positiven. Doch schon der antike Mensch wusste, dass man mit dem Hebel vorsichtig zu Werke gehen muss. Lässt man ihn zur Unzeit los, teilt er schwere Schläge aus. Das kann sogar tödlich enden. An diesem Phänomen hat sich nichts geändert. Daher ist es auch heute noch wichtig, einen Hebel erst dann loszulassen, wenn sich die zu bewegende Masse in einer stabilen Position befindet.
Moderne Finanzhebel wie Optionsgeschäfte ermöglichen es beispielsweise, große Aktienmengen mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz zu bewegen. Der Kunde erwirbt dabei das Recht, Aktien an einem definierten Termin zu einem bestimmten Wert zu kaufen oder zu verkaufen. Der finanzielle Einsatz beträgt lediglich einen Bruchteil des Aktienwertes. Je nach Kursverlauf kann ein solches Geschäft zu hohen Gewinnen führen. Verläuft der Kurs jedoch anders als vorgestellt, kann am Ende einer solchen Börsen-Wette auch der Totalverlust stehen. Bei Turbo-Bankgeschäften mit Derivaten ist zudem nicht nur für Laien die zu bewegende Finanzmasse bisweilen schwer erkennbar. Ebenso derjenige, der den Finanzhebel final in der Hand hält. Folge globaler „Risiko-streuung“. Das globale Finanzgebäude steht in der Folge auf einer Vielzahl derartiger Hebel, die sich gegenseitig stützen und mit deren Hilfe sich einzelne Banker Milliarden in die eigene Tasche geschoben haben. Kommen die Finanzmassen am anderen Ende des Hebels allerdings in Bewe-gung, wie in den letzten Wochen geschehen, so schlägt der Hebel zu, wird gleichsam zur Brech-stange. Spätestens hier wird klar, dass viele unserer Banker im Physik-Unterricht nicht aufgepasst haben. Denn bereits der alte Grieche Archimedes wusste, dass man mit einem Hebel und einem festen Punkt die Welt aus den Angeln heben kann. Genau das proben nun die Banker. Weltweit. Zwischenzeitlich sind so viele Finanzmassen in Bewegung, dass man den schlagenden Hebeln gar nicht mehr ausweichen kann. Erste Opfer unter Bankern selbst sind zu beklagen. Die beginnen derweil schon nach dem Staat zu rufen. Noch vor Monaten ein schlechterdings undenkbares Szenario. Man fordert Steuermilliarden, um das Finanzgebäude zu retten. Das zeigt bedenkliche Schieflagen. Statt das Geld in Bildung, Infrastruktur und damit in Zukunft zu investieren, soll die mutwillig außer Kontrolle geratene Statik der Finanzbranche stabilisiert werden. Der Bürger zahlt.
Die deutsche Kontrollinstanz, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, tat der-weil das, was sie immer tat - sie versagte. Das tat sie bereits beim Neuen Markt. Dort gab es Fälle offener Organisierter Kriminalität, wie im Fall NordLB/Metabox. Die BaFin schaute zu. Ohne Konsequenzen. Sie begleitete die mehr oder weniger offene Kriminalität im Bereich der West LB. Der Einstieg von Porsche bei VW harrt seiner juristischen Aufarbeitung und auch die Krisen bei IKB, KfW und HRE sind Folgen systematisch ungenügender Arbeit der BaFin. Sie ist trotz bestehender Gesetze nicht in der Lage, das Geld, die Gier und die Finanzhebel zu kontrollieren.
Peine, den 8. Oktober 2008 gez.: Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz