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Schwarzbuch

„Neusiedlererben: Kein Menschenrecht auf Eigentum ? v. Dr. Purps- Zusammenfassung - ZOV“, Ausgabe 3/2008


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Vorbemerkung der ARE und des BNE: Im Jahre 2009 wird die politische und juristische Diskussion zum Thema „Neusiedler-Erben-Eigentum“ auch vor dem Hintergrund der seit Anfang 2007 und weiterhin für Wirbel sorgenden „Brandenburger Bodenaffäre“ , dem Appell Hunderter Betroffener 2008 an die Bundeskanzlerin und die Vorlage von Gesetzesvorschlägen zur Wiederaufnahme des Problembereichs im Jahre 2009 eine neue Dimension erreichen. - Daher eine aktuelle kurze Darstellung zur Sache.

„Neusiedlererben: Kein Menschenrecht auf Eigentum ? -

Menschenrechtsstandards in der Tradition der abendländischen Philosophie“

von Rechtsanwalt Dr. Thorsten Purps, Potsdam

Dr. Purps macht in diesem Beitrag aufmerksam auf das von ihm geführte Beschwerde-verfahren beim UN-Menschenrechtsausschuss zum Aktenzeichen 1754/2008 mit der Individualbeschwerde einer Neusiedlererbin wegen der entschädigungslosen Entziehung von Bodenreformeigentum. Beabsichtigt ist, die angestrebte Beschwerde auch als Muster-verfahren zu nutzen, um grundsätzlich die entschädigungslose Entziehung von Bodenreformeigentum von geschätzten 70.000 Neusiedlererben durch die fünf neuen Bundesländer an den Menschenrechtstandards der UN-Menschenrechtscharta zu messen. Hierbei steht im Zentrum der rechtlichen Auseinandersetzung die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 26 der UN-Menschenrechtscharta („Diskriminierungsverbot“).

Zunächst beschreibt Dr. Purps die Chronologie der Ereignisse.
Gegen die entschädigungslose Enteignung der Neusiedlererben war bereits ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführt worden, das zunächst von der Kleinen Kammer des EGMR 2004 einstimmig positiv beschieden, dann aber von der Großen Kammer im Abstimmungsverhältnis von 11 : 6 endgültig abgewiesen wurde. Es ging bei diesem Verfahren lediglich um die Überprüfung des Wirkungskreises der das Eigentum schützenden Menschenrechte des EMRK im Verhältnis der Neusiedler unter einander. In dem anhängigen Verfahren vor dem UN-Menschenrechtsausschuss ist dagegen Gegenstand des Verfahrens die Diskriminierung der Neusiedlererben im Vergleich zu allen übrigen Adressaten von Bestimmungen offener Vermögensfragen in den neuen Bundesländern.

Das kollektive Enteignungsgeschehen mit einer Opferzahl von geschätzten 70.000 Neusiedlererben ist einmalig in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses Fehlverhalten fordert eine interdisziplinäre Gesamtbilanz der Argumentationshaushalte aus den Bereichen der Rechtswissenschaft und der zeitgenössischen Philosophie und eine angemessene Würdigung dieses außergewöhnlichen Phänomens der deutschen Rechtsgeschichte heraus.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der sich in Veröffentlichungen auf den Wirkungszusammenhang zwischen Philosophie der Aufklärung und der Eigentumsgarantie des Grundgesetz befasst hat, machte die Aussage, dass die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes in der „Tradition der Philosophie der Aufklärung“ steht. Weiter vertritt er die Meinung, dass der Eigentumsgarantie die Funktion zukomme, dem Einzelnen „einen Freiraum“ im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und ihn dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen.

Dass die Lehre von den Menschenrechten als moralisches Kernstück der Aufklärung angesehen werden kann, hat nicht nur Sloterdijk geäußert, sondern kein geringerer als Immanuel Kant hat in die Menschenrechtsdebatte mit dem Begriff der moralischen Person der Menschheit nachhaltig eingegriffen.

An der Grundthese Immanuel Kants dürfte sich bis heute nichts geändert haben. Als Person versteht Kant nämlich das Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft. Als solches ist der Mensch über allen Preis erhaben und niemals bloß ein Mittel zum Zweck. Auch spätere Philosophen, wie Jürgen Habermas, rütteln an dieser These nicht.

Dr. Purps war auch unmittelbarer Zeitzeuge bei dem Verfahren vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte und musste hinnehmen, dass das Kernstück der Aufklärung, die Respektierung der Menscherechte im jeweils geltenden nationalen Standard nicht beachtet wurde und in der Bundesrepublik Deutschland die Personengruppe der Neusiedlererben rigoros, entschädigungslos und ohne bleibende Rechte an ihrem ehemaligen Eigentum Mittel zum Zweck wurden ( Begründung u.a.: außerordentlicher Länderfinanzausgleich in den neuen Bundesländern und haushaltsrechtlicher Notstand laut Erklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Böhmer, Sachsen-Anhalt) wurden.

Zum Verständnis des Schicksals der Neusiedlererben fasst Dr. Purps deren Geschichte zusammen. Diese hatten nach Ende des zweiten Weltkriegs durch Gesetze im Rahmen der „ Bodenreform“ in den Länder der Sowjetischen Besetzungszone kleine Parzellen „zum persönlichen vererbbaren Eigentum“ zum Verkehrswert zugewiesen bekommen. Unter den letzten DDR- Ministerpräsidenten Modrow und de Maiziére wie seitens der ersten frei gewählten Volkskammer war es der DDR ein besonderes Anliegen,insofern die Ergebnisse der SBZ-Bodenreform zu erhalten, als damit die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse für redlich erworbenes Eigentum, also das der Neusiedler und ihrer Erben, unangetastet bleiben sollte. Aus diesem Grund wurde am 2. März 1990 die Abschaffung der Beschränkungen für Bodenreformgrundstücke ( bisher keine freie Veräusserbarkeit, Eintragung des sogenannten Sperrvermerks in Abteilung II des Grundbuchs) im Verfassungs- und Rechtsausschuss beraten.

In der irrigen Annahme bzw. aufgrund von Vorschlägen eines für diese Materie zuständigen Beamten im Justizministerium, Dr. Schmidt-Räntsch,, Bodenreformeigentum sei als nicht vererbbar zu bezeichnen, verabschiedete der Bundesgesetzgeber am 14.9.1992 zur Überraschung aller - ohne Berücksichtigung der Ergebnisse der Anhörung des Rechts- und Verfassungsausschusses - die umstrittenen Bestimmungen über die Abwicklung der Bodenreform gem. Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB. All den Neusiedlererben (etwa 70.000), die nicht nachweisen konnten, dass sie bis zum Ablauf des 15. März 1990 als Mitglied einer LPG landwirtschaftlich tätig waren, wurde das Eigentum entrissen.

Auf die Beschwerde hin, hatte die 3. Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch die entschädigungslose Entziehung von Eigentumspositionen für unvereinbar mit den Menschenrechtsstandard der EMRK erklärt. Die Große Kammer hingegen hat sich um Menschenrechte nicht geschert und unter Berufung auf „außergewöhnliche Umstände“ und einen „Zufallsgewinn der Neusiedlererben“ die Entziehung von Eigentumspositionen ohne jegliche Entschädigung (!) für rechtens erklärt.

Eine entschädigungslose Enteignung ist ein eindeutiger Verstoß gegen Art. 26 der UN-Menschenrechtscharta, die am 16.Dezember 1966 verabschiedet wurde. Die UN-Menschenrechts -Charta enthält den „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)“. Der IPbpR, der für Individualbeschwerden zuständig ist, ist am 23.März 1976 für die Bundesrepublik in Kraft getreten.

Die Beschwerde muss sich, formal gesehen, gegen den Staat richten, der zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde ( geschehen durch Dr. Purps am 29. Mai 2007) Vertragspartei des Paktes ist. Dabei ist zu beachten, dass Staaten bei ihrer Ratifizierung oder ihrem Beitritt Vorbehalte zu den Verträgen anbringen können. Bei der Hinterlegung der Beitrittsurkunde der Bundesrepublik zum ZP am 25. August 1993 beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hat die BRD folgende Vorbehalte angebracht:
Dass die Zuständigkeit des Ausschusses nicht für Mitteilungen gilt,

  • die bereits in einem anderen internationalen Untersuchungs- oder Streitregelungsverfahren geprüft wurden;
  • mit denen eine Rechtsverletzung gerügt wird, deren Ereignisse v o r dem Inkrafttreten der Regelung für die Bundesrepublik Deutschland ihren Ursprung haben, oder
  • wenn und soweit sich die gerügte Verletzung auf andere als im vorgenannten Pakt garantierte Rechte bezieht.

Dieses Protokoll ist für die Bundesrepublik am 25. November 1993 in Kraft getreten. Im vorliegenden Verfahren beruft sich die Bundesrepublik auf die aufgeführten Vorbehalte. Die Bundesrepublik leistet sich somit den Luxus, die „Frieden stiftende Idee“ der gegenseitigen Anerkennung von freien und gleichen Personen zu relativieren. Auf Deutsch heißt dies, dass schwerwiegende Verstöße gegen Menschenrechte aufgrund der „aufgeladenen Vorbehalte“ nicht sanktioniert werden sollen.

Im vorliegenden Verfahren vor dem UN-Menschrechtsausschuss beruft sich die Beschwerdeführerin jedoch auf die erst am 24.Juli 1997 im Rahmen des Wohnraum-Modernisierungssicherungsgesetz eingetretenen Diskriminierung der Neusiedlererben im Wirkungskreis eines „Gruppenvergleichs“ mit den sogenannten“ Modrow-Käufern“, die zeitgleich mit Gesetz vom 07.März 1990 volkseigene Grundstücke erwerben konnten. Zur selben Zeit, als der deutsche Gesetzgeber für die Gruppe der Modrow-Käufer Eigentumserwerb und Eigentumserhalt umfassend zu sichern suchte, verschlechterte er die Situation der Neusiederlerben zusätzlich und vertiefte damit die ohnehin bestehende Diskriminierung dieser Personengruppe. Anders als die Neusiedlererben wurde die labile Rechtsposition eines Modrow-Käufers sehr viel stärker geschützt als die starke Rechtsposition der Neusiedlererben, die bereits mit Inkrafttreten des Bodenreformgesetzes vom 06. März 1990 vollwertiges Eigentum von Gesetzes wegen erhielten.

Zudem ist für den Fall der Neusiedlererben in dem Verfahren vor dem UN-Menschrechtsausschuss zu berücksichtigen, daß in diesem Verfahren nicht dieselbe Sache wie im EGMR-Verfahren anhängig ist. Zwar sind die Parteien identisch, doch geht es bei der Beschwerde zum Menschenrechtausschuss nicht um die Verletzung des Eigentumsrechts, sondern um die Rüge einer Verletzung des Diskriminierungsverbots gemäß Art. 26 IPbpR. Die Große Kammer des EGMR prüfte im Verfahren ausschließlich eine Diskriminierung der Beschwerdeführer im Verhältnis zu anderen Personen derselben Gruppe (Neusiedlererben). Vor dem UN-Menschenrechtsausschuss geht es um die Diskriminierung der Neusiedlererben im Rahmen eines Gruppenvergleichs im Verhältnis zu einer anderen Personengruppe (Modrow-Käufer). Diese Diskrinierung trat erst mit dem Inkrafttreten des Wohnraum-modernisierungssicherungsgesetz am 27. Juli 1997 ein.

Schließlich sollte der Einwurf der Bundesrepublik, dass das Eigentumsrecht selbst nicht zu den vom Pakt geschützten Rechten gehört, nicht dem Verfahren entgegen stehen. Auch wenn das Eigentumsrecht selbst nicht zu den vom Pakt geschützten Rechten gehört, darf es grundsätzlich nicht zum Ansatzpunkt von Ungleichbehandlung gemacht werden. Im vorliegenden Fall wird aber gerade Eigentum zum Ansatzpunkt der Diskriminierung gemacht, weil das – als Volleigentum anerkannte – Eigentum der Beschwerdeführerin (als einer Neusiedlererbin) entschädigungslos entzogen wurde, während das Eigentum der Modrow-Käufer eine umfassende Absicherung durch denselben Bundesgesetzgeber erhält. Unter diesen Voraussetzungen sind vernünftige und objektive Gründe für die bestehende Ungleichbehandlung zwischen den Neusiedlererben und den Modrow-Käufern nicht zu erkennen. Damit ist dem an das Merkmal „Eigentum“ angeknüpften Rechtfertigungszwang genüge getan.

Das Verfahren läuft und war war bei Redaktionsschluss noch im Vorprüfungsstadium der Zulässigkeit der Individualbeschwerde.

Dr. Purps schließt den Artikel mit der Hoffnung, dass mit der Einleitung dieses Verfahrens vor dem UN-Menschenrechtsausschuss nunmehr die übergreifenden rechtsphilosophischen Erwägungen als Grundlage für eine Standardisierung der Menschenrechte im Zeichen des von Immanuel Kant für die Menschenwürde proklamierten Verbots eines „Mittel zum Zweck-Gebrauchs“ der einzelnen Rechtsträger auf der hierfür vorgesehenen Ebene anerkannt werden. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat vielleicht die kaum zu überschätzende Chance „seines Lebens“ noch nicht erkannt. Als Akt der freundlichen Übernahme könnte die in der abendländischen Kultur geborene Idee eines Begriffs der Menschenrechte und Menschenwürde unter Ausschluss eines „Mittel zum Zweck-Gebrauchs“ eine Standardisierung des Kernbereichs von Menschenrechten gewährleisten, die weit über den Anwendungsfall der Neusiedlererben hinausgeht.

Zusammenfassung von Frau Herrlein-Ramdohr

Wir würden uns über Leserzuschriften mit Meinungsäußerungen und Fragen freuen und halten die weiterführende Diskussion zum Thema für dringlich.
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