Offener Brief an Minister Tiefensee zum Stand der Deutsche Einheit
Offener Brief
Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2006
Sehr geehrter Herr Minister,
seit 1990 bin ich recht intensiv mit den Problemen der Wiedervereinigung beschäftigt.
Meine Erfahrungen habe ich in 2 Dokumentationen 1995 und 2000 niedergelegt sowie in diversen Publikationen in Fachzeitschriften.
In der Anlage füge ich Ihnen entsprechende Informationen bei.
- Dokumentation 1
- Dokumentation 2
- diverse Pressebeiträge
Auf mein Internet darf ich verweisen.
Ihr Jahresbericht, der zwar grundsätzlich sehr zu begrüßen ist, gibt jedoch auch Anlass zu ganz erheblicher Kritik, so zum Beispiel, wenn Sie in Ihrem Bericht auf Seite 14 oben schreiben:
„Auch in den ländlich geprägten Regionen der neuen Länder hat in den vergangenen 16 Jahren ein bemerkenswerter Strukturwandel stattgefunden. Die Landwirtschaft hat sich unter den geänderten Rahmenbedingungen gut entwickelt und bildet heute eine wettbewerbsfähige Säule ländlich geprägten Wirtschaftens.“
Nach meinen Erfahrungen bis in die Gegenwart werden hier in einem Umfang Grundrechte sowie die Menschenrechtskonvention verletzt, wie dies in 1990 nicht erwartet werden konnte und alle Befürchtungen übertrifft. Dies gilt umso mehr, als sich die Situation auch 16 nach der Wiedervereinigung nur punktuell verbessert hat und ein Ende der Fortsetzung des DDR-LPG-Unrechts nicht abzusehen ist.
Resignation und Abwanderung ist in den ländlichen Räumen, in unseren Dörfern, die Konsequenz. Die Menschen verlassen ihre Heimat nicht leichtfertig, sondern sehen konkret keine Chancen auf eine Besserung der Verhältnisse, da die Ursachen verdrängt werden.
Verletzt werden die Eigentumsrechte vor allem und immer noch aktuell im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung nach Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) und bei der Zusammenführung von LPG-Gebäuden auf dem Grund und Boden der Bauern, sowie der von den LPGs zurückgelassenen und verfallenen Gebäudeanlagen/Altlasten.
Menschenrechte und Menschenwürde werden verletzt, wenn langjährige LPG-Mitglieder und Mitarbeiter in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften seit 1990 und fortgesetzt als Unfriedenstifter beschimpft und diffamiert werden, wenn sie die Fortsetzung des DDR-LPG-Unrechts nicht hinnehmen, nicht dulden.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung der ehemaligen LPG-Mitglieder wird massiv verletzt, wenn einige wenige sich am LPG-Vermögen massiv bereichern, während anderen gekündigt wurde und vom LPG-Vermögen weitgehend ausgeschlossen werden.
Existenzgründer, Wiedereinrichter landwirtschaftlicher Betriebe, Junglandwirten wird keine Chance eingeräumt, ihre Förderung wird weiter reduziert, während die auf dem Fundament des Unrechts aus LPG-Zeiten gegründeten Nachfolgeunternehmen weiterhin reichlich Fördermittel aus öffentlichen Kassen erhalten, obgleich ihnen solche nur bedingt, in geringem Umfang, zustehen würden, da die ordnungsgemäße Vermögensauseinandersetzung nach LwAnpG und Gesamtrechtsnachfolge i.S. des LwAnpG seit 1991 Fördervoraussetzungen waren, die nie – nur in Ausnahmefällen – eingehalten wurden.
Unternehmerisch denkende Junglandwirte sehen sich daher zunehmend veranlasst, ihre Chancen in den westlichen Bundesländern bzw. Westeuropa zu suchen, da im Beitrittsgebiet den Ursachen des Unrechtes, den Ursachen der Arbeitslosigkeit nicht nachgegangen wird, sondern wie in Ihrem Bericht, „übersehen“ werden.
Ich selbst war bis zu meinem 20. Lebensjahr Bürger der DDR. Seit ende 1956 bin ich Bundesbürger. Mit großem Interesse habe ich den Strukturwandel in der Bundesrepublik und in Westeuropa, sowie die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seit 1956/57, beobachtet.
Das seit nunmehr 15 Jahren der Strukturwandel in den Ländern der alten Bundesrepublik schwieriger geworden ist, liegt auf der Hand. Schließlich sind jährlich nahezu 100 Milliarden in den „Aufbau Ost“ geflossen. Und schließlich kann man das Geld bekanntlich nur einmal ausgeben, so dass dieses nun in den alten Bundesländern für den dort, wie seit den 50-ziger Jahren ebenso, anhaltenden Strukturwandel etc. fehlt.
Ihre Einlassungen auf Seite 15 Ihres Berichtes sowie einigen weiteren Stellen Ihres Berichts, müssen daher bei weniger mit der Materie befassten Lesern wie sanft verpackte Nostalgie wirken. Die Glaubwürdigkeit des Staates, unseres Rechtsstaats, meines Staates, schmilzt weiter dahin!
Mit der zu erwartenden Agrarförderperiode 2007 bis 2013 wird es für die privaten Bauern, Unternehmer und Junglandwirte im Beitrittsgebiet wohl noch schwieriger als in der Vergangenheit werden, während LPG-Großunternehmen durch begünstigten Flächenerwerb und Altschuldenerlass zusätzliche Wettbewerbsvorteile eingeräumt werden.
Dabei beweisen die Agrarberichte des Bundes und der Länder (Buchführungsergebnisse) regelmäßig, dass die LPG-Großunternehmen im Beitrittsgebiet nur zu einem geringen Teil Gewinne erwirtschaftet, der eine nachhaltige Existenz erwarten lässt.
Der ganz überwiegenden Mehrzahl der Menschen in den Dörfern ist dieses Unrecht hinlänglich bekannt. Sie sehen darin eine dauerhafte Fortsetzung des DDR-LPG-Unrechts zum Nachteil der privaten Unternehmer/Bauern.
Eine fortgesetzte Grundrechtsverletzung ist unübersehbar.
Resignation und Abwanderung, Niedergang des ländlichen Raumes sind die Folgen. Diese Situation lässt sich auch durch Ihren Bericht nicht schön schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Werner Kuchs
Rechtsbeistand