Brief an Frau Zypries, Bundesministerin der Justiz / von RA J. Wasmuth
Frau
Brigitte Zypries
Bundesministerin der Justiz
- persönlich -
Mohrenstraße
10117 B e r l i n
Verfolgung der SPD, aber nicht der Opfer von Boden- und Industriereform?
Sehr geehrter Frau Bundesministerin Zypries,
auf mein Schreiben vom 22. Januar 2009 habe ich in dieser Angelegenheit eine Antwort Ihrer Mitarbeiterin Petra Rolfes vom 13. März 2009 erhalten, die sich mit der Materie der Aufarbeitung des Unrechts in SBZ und DDR offenbar nicht sonderlich auskennt und daher mit der Beantwortung meiner Fragen allem Anschein nach überfordert war. Unter Berufung auf Art. 17 GG bitte ich Sie daher dafür Sorge zu tragen, daß mir auf die nachfolgend gestellten Fragen jeweils eine kompetente Antwort erteilt wird, wie dies vom Bundesministerium der Justiz erwartet werden kann:
1. Entgegen der Angabe Ihrer Mitarbeiterin ist die Frage, inwieweit die SPD und die Gewerkschaften unter der Herrschaft des NS-Regimes durch den Einzug ihres Organisationsvermögens verfolgt worden sind und inwieweit diese Vermögensmasse unter sowjetischer Besatzungshoheit in Volkseigentum oder in das Vermögen der SED überführt worden sind, keineswegs nur von historischem Interesse, sondern schon deshalb von rechtlicher Relevanz, weil § 1 VI VermG die entsprechende Anwendung des Vermögensgesetzes auch für diese Vermögensmassen anordnet und § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG zudem klarstellt, daß der entsprechenden Anwendung des Vermögensgesetzes die Besatzungshoheitlichkeit der (letzten, etwa auf den SMAD-Befehl Nr. 126 gestützten) Vermögensentziehung nicht entgegensteht. Durch die Erwähnung nicht nur von § 1 VI VermG, sondern auch von § 1 VII VermG stellt § 1 VIII lit. a, 2. Halbs. VermG aber auch klar, daß die Nichtanwendungsregelung des § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG selbst dann nicht eingreift, wenn eine verfolgungsbedingte Vermögensentziehung und nicht nur eine bloße Enteignung i.S. von § 1 I lit. a, b VermG vorliegt, die deshalb einen strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsanspruch auslöst, so daß nach der gesetzlich vorgesehenen Rehabilitierung wegen der vermögensrechtlichen Abwicklung das Vermögensgesetz ebenfalls entsprechend anwendbar ist (§ 1 VII VermG). Insofern stellt übrigens auch § 1 I 2 AusglLeistG klar, daß verfolgungsbedingte Vermögensschäden von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des Ausgleichsleistungsgesetzes nach § 1 I 1 AusglLeistG fallen.
Nach dieser Klarstellung stelle ich die Frage: Inwiefern und aufgrund welcher konkreter Tatsachen stellt die Verfolgung der SPD und der Gewerkschaften durch das NS-Regime ein schweres Unrecht dar als die Verfolgung der Opfer der Boden- und Industriereform, das es rechtfertigen könnte, die zuletzt jeweils auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogenen und jeweils verfolgungsbedingten Vermögensschädigungen derart kraß unterschiedlich zu behandeln, wie Ihre Frau Rolfes dies offenbar meint?
2. Des weiteren stelle ich die Frage: Ist dem Bundesministerium der Justiz bekannt, daß die Verfolgung im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid ausschließlich auf die Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid gestützt war, daß die Richtlinien drei unterschiedliche Straftatbestandsgruppen enthielten (Naziverbrecher, aktivistische Nazis, Kriegsinteressenten), daß die Richtlinien ausdrücklich festlegten, die darauf gestützte Verfolgung diene ausschließlich der Verfolgung von Naziverbrechern, aktivistischen Nazis und Kriegsinteressenten und sie keine wirtschaftliche Maßnahme?
3. Ist dem Bundesministerium der Justiz außerdem bekannt,
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daß es zum sächsischen Volksentscheid und den dazu erlassenen Richtlinien mehrere amtliche Verlautbarungen der sächsischen Landesverwaltung (Regierung) gab, welche den Strafcharakter dieser Maßnahmen ausdrücklich festgeschrieben haben,
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daß die sowjetische Besatzungsmacht den Entwurf einer Registrierungsverordnung, der die bloße Konfiskation von Industrieunternehmen vorsah, nicht genehmigt hat, weil dieser nicht im Einklang mit den Vereinbarungen im Potsdamer Abkommen stand, der nur eine Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern (neben der ohnehin nicht einschlägigen Demilitarisierung und Dekonzentration der Großkonzerne) zuließ, so daß spezielle Strafvorschriften erlassen werden mußten,
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daß die Richtlinien selbst keine Rechtsfolgen geregelt haben, daß diese aber in diversen anderen Gesetzen enthalten waren, die ohne weitere Entscheidung den Einzug des betrieblichen und des privatenVermögens, den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts, den Verlust der Berufsfreiheit (mit Ausnahme Tätigkeiten niederer Art), die Registrierung als Nazi- und Kriegsverbrecher und die öffentliche Bekanntmachung des Schuldspruchs vorgesehen haben,
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daß aufgrund der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid von der von Fritz Selbmann geleiteten Abteilung Wirtschaftsplanung konkretes Belastungsmaterial gegen jeden einzelnen Betroffenen zusammengetragen und in einer Art „Anklageschrift“ der Landes-, später der Präsidialkommission zur Entscheidung vorgelegt wurde,
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daß die Landes- und später die Präsidialkommission in Sammelterminen über die Schuld jedes betroffenen Unternehmers entschieden und diese in einem Sammelprotokoll protokolliert haben, was später - zumeist - von dem sächsischen Gesamtministerium (Kabinett der sächsischen Landesverwaltung) bestätigt und damit rechtskräftig wurde,
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daß die Landes- und später die Präsidialkommission etwa die Hälfte der „Angeklagten“ wegen nicht vorhandener Schuld als Kriegs- und Naziverbrecher freigesprochen haben, so daß ihr Vermögen nicht eingezogen werden sollte,
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daß der SMAD-Befehl Nr. 201 und die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen nur zwei unterschiedliche Formen der Entnazifizierung zuließen, nämlich einerseits eine verwaltungsrechtliche, wenn diese auf die KRD Nr. 24 gestützt war und lediglich zur Entfernung aus öffentlichen, halböffentlichen und wichtigen privaten Berufen führte, und andererseits eine strafrechtliche, wenn diese auf die KRD Nr. 38 gestützt war und zu einer oder mehreren Sanktionen führte, die in dieser KRD vorgesehen war (u.a. auch die Vermögenseinziehung), so daß im Rahmen der in der SBZ betriebenen Entnazifizierung auch eine Vermögensentziehung immer eine strafrechtliche Maßnahme war,
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daß der Schuldspruch von den deutschen Organen jeweils den sowjetischen Organen mitgeteilt wurden, die ihrerseits dann die Internierung (ohne Urteil) oder die Verurteilung durch die SMT-Gerichte zu langen Haft- und Internierungsstrafen oder zu Todesstrafen veranlaßt haben, sofern der Betroffene das Gebiet der SBZ noch nicht verlassen hatte?
4. Ist dem Bundesministerium der Justiz bekannt, daß die Verfolgung Industrieller in Ostberlin immer auf die KRD Nr. 38 gestützt war und daß gegen die Betroffenen dazu ebenfalls entsprechendes Belastungsmaterial zusammengetragen wurde und jeweils ein Schuldspruch nach den Tatbeständen der KRD Nr. 38 erfolgte?
5. Sollten die unter 2. bis 4. erfragten Rechtstatsachen dem Bundesministerium der Justiz bekannt sein, bitte ich um Auskunft, in welcher Stellungnahme sie gegenüber dem Deutschen Bundestag oder seinen Ausschüssen, Gerichten, Behörden, der Presse oder allgemein der Öffentlichkeit mitgeteilt worden sind?
6. Sollten diese Rechtstatsachen bekannt sein und eine entsprechende Mitteilung bislang unterblieben sein, bitte ich um Auskunft, weshalb dies nicht erfolgt ist.
7. Teilt das Bundesministerium der Justiz meine rechtliche Beurteilung, daß - unterstellt die oben unter 2. bis 4. mitgeteilten Rechtstatsachen sind zutreffend (wovon Sie aufgrund meiner Recherchen freilich ausgehen können) - die Verfolgung Industrieller im Zusammenhang mit dem sächsischen Volksentscheid spezifisch strafrechtliche Maßnahmen waren und wenn nicht: warum nicht?
8. Frau Petra Rolfes weist die Vorhaltung zurück, das Bundesministerium der Justiz habe in den von mir in Bezug genommenen Petitionsverfahren den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages nachweislich falsch unterrichtet. Ausweislich der mir bekannten Petitionsbescheide, die sich ausdrücklich auf eine Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz beziehen, sind die oben unter 2. bis 4. mitgeteilten Rechtstatsachen der spezifisch strafrechtlichen Verfolgung der Betroffenen nicht mitgeteilt worden. Da mir im einzelnen bekannt ist, daß diese Tatsachen zutreffend sind, ist also die Unterrichtung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages insofern nachweislich falsch, ohne daß in diesem Zusammenhang darauf eingegangen werden soll, daß die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz auch in bezug auf die sog. Bodenreform das tatsächliche Verfolgungsgeschehen in wesentlicher Hinsicht unzutreffend wiedergibt.
9. Frau Petra Rolfes gibt in ihrem Antwortschreiben richtig an, daß das Strafrechtliche und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz auch für die Geschehnisse der Jahre 1945 bis 1949 Geltung hat. Sie legt aber weiter dar, daß dies ausschließlich für die mit den Mitteln des Strafrechts oder der administrativ politischen Verfolgung grob rechtsstaatswidrige Inhaftnahme oder die Hinrichtung gelte, was Ansprüche auf moralische Wiedergutmachung und Entschädiung auslöse. Derartige Ausführungen sind schon deshalb nicht unproblematisch, weil die Opfer der Boden- und Industriereform infolge der bis zum 16. August 1947 bestehenden Aufgabenteilung von deutschen und sowjetischen Organen zwar nach einem einheitlichen Verfolgungsplan verfolgt wurden, die Inhaftierungen und Internierungen aber regelmäßig von den sowjetischen Organen vorgenommen worden sind. § 1 I 1, V StrRehaG sieht eine strafrechtliche Rehabilitierung aber nur für Maßnahmen deutscher Organe vor. Insofern scheidet nach rechtsstaatlich äußerst problematischen geltenden Rechtlage - anders als nach § 18 RehaG-DDR - ein Rehabilitierungsanspruch insofern aus. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers. Strafrechtlich rehabilitiert werden können lediglich diejenigen, die den deutschen Organen nach Gründung der DDR von den Sowjets übergeben und deren Strafverfahren dann durch die bekannten Waldheimverfahren abgeschlossen wurde. Wegen der bestehenden Aufgabenteilung bleiben all diejenigen Verfolgten, deren Verfahren vorher abschließend entschieden war, wegen der Inhaftierung ohne strafrechtliche Rehabilitierung
10. Die Rechtsansicht von Frau Petra Rolfes ist aber noch in einer anderen Hinsicht problematisch und erfordert eine konkrete Nachfrage: Aus welcher Bestimmung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes entnimmt das Bundesministerium der Justiz die Auffassung, daß eine strafrechtliche Rehabilitierung wegen des Schuldspruchs der sächsischen Landes- oder Präsidialkommission oder der Ostberliner Treuhandverwaltung für das sequestrierte Vermögen sowie wegen der deshalb eintretenden Rechtsfolgen (Einzug des betrieblichen und privaten Vermögens, Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts, Beschränkung der Berufsfreiheit mit Ausnahme niederer Arbeiten pp.) ausgeschlossen sein könnte?
Einige wenige Fakten, wie insbesondere die Gerichte von der Bundesregierung inzwischen während vieler Jahre über die tatsächlichen Zusammenhänge der Verfolgung nachweislich falsch unterrichtet worden sind, sind nun in einem soeben erschienen Beitrag in ZOV 2009, 8ff. zusammengefaßt. Darauf darf ich hier verweisen.
Schließlich gehe ich davon aus, daß die Stellungnahmen zu den in meinem Schreiben vom 22. Januar 2009 in Bezug genommenen Petitionen gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages von Ihrer Mitarbeiterin Petra Rolfes verfaßt worden sind, die sich nun scheut, diese mitzuteilen. Auch deshalb sollte die Bearbeitung dieser Petition nicht mehr ihr überlassen werden.
Die Veröffentlichung oder Verwertung Ihrer Antwort in Publikationen behalte ich mir vor. Dieses Schreiben sende ich auch an einzelne Opferverbände zur Kenntnisnahme und weiteren Verwendung.
Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Dr. Johannes Wasmuth Kobellstraße 11
Rechtsanwalt 80336 München
Tel./Fax: 089/7250202
(Rechtsanwalt)