RA von Raumer- Interview von DerRechsstaat.de ---- 31.07.2008
Strafreha-Fall Madaus:
Juristische Neubewertung der „Industriereform“ als
Strafmaßnahme möglich – Erste mündliche Verhandlung eines Reha-Antrages in Deutschland
Von Redaktion DerRechtsstaat.de
In vielen Fällen haben deutsche Gerichte bislang die Strafrechtliche Rehabilitierung von Betroffenen der „Boden- und Industriereform“ 1945-1949 abgelehnt. Dies geschah meist, weil die Richter nicht anerkennen wollten, daß es sich bei den Konfiskationen im Rahmen der politischen Verfolgung des besitzenden Mittelstandes der SBZ um Strafmaßnahmen handelte. Dabei haben sowohl die Sowjets als Besatzungsmacht als auch die deutsche Kommunistische Verwaltung ihre Maßnahmen 45-49 selbst als Strafmaßnahmen verstanden und auch so durchgeführt.
Im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz von 1992 heißt es ausdrücklich, daß auch solche Strafmaßnahmen zu rehabilitieren sind, die keine gerichtlichen Strafmaßnahmen waren. Anerkennt heute ein Gericht im Rahmen eines Strafrehaverfahrens den kommunistischen Zugriff im Rahmen der „Boden- und Industriereform“als Strafmaßnahme, hat dies die Rehabilitierung des Betroffenen und die Rückgabe seines Vermögens zur Folge.
Umstritten ist diese Frage derzeit auch in einem wichtigen Verfahren vor dem Dresdner Landgericht, in dem es um die strafrechtliche Rehabilitierung des Radebeuler Pharmafabrikanten Madaus geht, dessen Sohn Dr. Udo Madaus u.a. die Rehabilitierung der Verhaftung und politischen Verfolgung seines Vaters beantragt hat.
Die Klägeranwälte Stefan von Raumer und Dr. Johannes Wasmuth haben unter Vorlage eigens recherchierter umfangreicher historischer Akten in ihrem Schriftsatz den Strafcharakter der „Industriereform“ in Sachsen deutlich unterstrichen. Die zuständige Kammer hat als Antwort erstmals in Deutschland eine mündliche Verhandlung in einem Strafreha-Verfahren anberaumt. Offenbar gibt in dieser wichtigen Frage erheblichen Klärungsbedarf. Beobachter halten sogar eine generelle juristische Neubewertung der „Industriereform“ als Strafmaßnahme für möglich, was für alle Betroffenen in Deutschland neue Hoffnung auf Wiedergutmachung bedeuten könnte.
DerRechtsstaat.de führte hierzu ein Interview mit Klägeranwalt Stefan von Raumer.
DerRechtsstaat.de: Herr von Raumer, Sie und Ihr Kollege Dr. Johannes Wasmuth vertreten den früheren Pharmaunternehmer Dr. Udo Madaus vor dem Landgericht Dresden. Es geht um die strafrechtliche Rehabilitierung des Vaters von Dr. Madaus, dessen Eigentum in der SBZ-Zeit konfisziert und der von der Besatzungsmacht auch inhaftiert worden war.
Nun wird es wegen des Rehabilitierungsantrages am 19. August erstmals eine mündliche Verhandlung vor der zuständigen Rehabilitierungskammer des Landgerichts Dresden geben (Beginn 10 Uhr). Diese mündliche Verhandlung in einem Strafreha-Verfahren stellt eine ausgesprochene Neuigkeit dar, denn bisher kam es vor deutschen Gerichten nicht zu einer mündlichen Verhandlung eines Strafreha-Antrages. Welche Erwartungen knüpfen Sie an diese mündliche Verhandlung und was könnte das Verfahren für die 45-49 Betroffenen bringen?
Erstmalig mündliche Verhandlung in einem Strafreha-Verfahren
RA Stefan von Raumer: Zunächst ist es wichtig zu betonen, daß es nach meiner Kenntnis hier tatsächlich erstmalig in Deutschland eine mündliche Verhandlung in einer Rehabilitierungs-Angelegenheit gibt. Das ist wirklich etwas besonderes, denn im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz gilt das Prinzip des schriftlichen Verfahrens. Nur in Ausnahmefällen sind daher mündliche Verfahren möglich. Da es ansonsten nie mündliche Verhandlungen gibt, schließen wir daraus, daß wir das Gericht über diese Fragen durch unseren Vortrag grundsätzlich nachdenklich gemacht haben.
DerRechtsstaat.de: Sie haben für Ihren umfangreichen Schriftsatz bedeutsames und neues Material vorgelegt?
Neues historisches Material zum Strafcharakter der „Industriereform“
RA Stefan von Raumer: Ja, wir haben einerseits genau zusammengestellt und analysiert, was die Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten zum Strafrechtsbegriff gesagt hat. Andererseits haben wir eigens Recherchen durchgeführt, die bisher unbekanntes historisches Material zu Tage gefördert haben, was zu völlig neuen historischen Erkenntnissen zum Ablauf der Industrieenteignungen in Sachsen führt. Dann haben wir nachgewiesen, wie der konkrete Fall Madaus sich darstellt und haben genau diesen Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt des Strafrechtsbegriff subsumiert. Wir kamen zu dem eindeutigen Ergebnis: Es handelt sich um eine Strafmaßnahme.
DerRechtsstaat.de: Halten Sie es für denkbar, daß es auf Grund der anstehenden mündlichen Verhandlung zu einer generellen Neubewertung der Vorgänge im Zuge der „Boden- und Industriereform“ 1945-1949 kommt?
RA Stefan von Raumer: Das ist schwierig zu beantworten. Das Verfahren kann auf drei Weisen ausgehen: Wir können es verlieren. Wir können es gewinnen, wegen Besonderheiten des Falles Madaus. Oder wir können es gewinnen, wegen einer solchen generellen Neubewertung.
Generelle juristische Anerkennung des Strafcharakters der „Industriereform“ möglich
DerRechtsstaat.de: Auf eine gerichtliche Neubewertung ist wegen ihrer allgemeinen Bedeutung für alle Betroffenen besonders zu hoffen?
RA Stefan von Raumer: Ja, das wäre auf jeden Fall zu hoffen, weil es eine Ungerechtigkeit ist, das solche schweren strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen bisher nicht anerkannt wurden. Es wäre zu hoffen und zu wünschen, das genau das passiert.
DerRechtsstaat.de: Sie gehen mit Optimismus in diese mündliche Verhandlungsrunde am 19. August?
RA Stefan von Raumer: Wir gehen mit verhaltenem Optimismus in die Verhandlung, weil wir natürlich genau wissen, wie schwer es ist, solche Fragen durchzustreiten. Aber wir haben sehr gute Argumente auf unserer Seite.