Ein Lebensgang im Spannungsfeld deutscher Ereignisse..... Zum Tode von Wolfgang Seiffert
Die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung findet am Mittwoch, den 4. Februar 2009, um 12.30 Uhr in der Kapelle des Tonndorfer Friedhofes, Ahrensburger Str. 188, 22045 Hamburg statt.
von Peter Fischer
Als er 1984 mit seinem Buchtitel „Das ganze Deutschland: Perspektiven einer Wiedervereinigung“ nicht nur das Motto eines Liedes von Ernst Moritz Arndt paraphrasierte, sondern damit auch an den ehernen Positionen der „Metternichschen Front“ rüttelte, baute sich vor ihm eine eisige Ablehnungsfront auf. Er wurde gemieden, als führte er etwas Unsittliches im Schilde, zudem wurde dem Buch keine Verkaufschance eingeräumt. Doch es stand alsbald an der Spitze aller verkauften Bücher und leitete damit jene bedeutsame Ära ein, an deren Ende der Fall der Mauer stand. Am 15. Januar verstarb nun nach kurzer, schwerer Krankheit der Autor jenes Buches, der davon überzeugt war, dass man „die deutsche Teilung weder braucht noch auf Dauer aufrecht erhalten“ konnte: Wolfgang Seiffert, der legendäre Völkerrechtler, der einst einen Honecker beriet, die Front wechselte, um den Deutschen insgesamt einen Spiegel in versäumten eigenen Angelegenheiten vorzuhalten.
Es mag für den gebürtigen Breslauer, Jahrgang 1926, symptomatisch gewesen sein, dass seine damaligen Vereinigungsrufe in die politische Wüste Bonns gegeben, zunächst ebenso ungehört verhallten wie die heute eigentlich überfälligen Nachrufe aus der Politik des um die deutsche Einheit so verdienstvoll tätig gewesenen Völkerrechtlers spärlich ausfielen.
Das sattsam bekannte Wort von dem Propheten, der im eigenen Lande so wenig gilt, scheint sein politisches Wirken - wieder einmal - zu bestätigen. Man kennt es aus unserer Geschichte etwa am Beispiel des damals verkannten Nationalökonomen Friedrich List, dessen heute wieder geächtete Anschauungen von einer „Volkswirtschaft“ und ihren „produktiven Kräften“ gerade in diesen Tagen einen mühelos erkennbaren Kontrast zu den Ursachen der allmählich im Bankrott versinkenden europäischen Länder bildet. Man weiß es von Generalleutnant Graf Yorck von Wartenburg, der gegen den Willen seines Königs einen Waffenstillstand mit den Moskowitern vereinbarte, um die drückende Last der Fremdherrschaft endlich wirkungsvoll zu bannen.
Wolfgang Seiffert scheint von seinem Werdegang durchaus jenen vom Generalkurs abweichenden Persönlichkeiten zuzurechnen zu sein, die erst im nach hinein ihre Rechtfertigung finden und ihren Bedeutungswert erkennen lassen: seine Biographie trägt daher auch die Brüche der Epoche auf geradezu exemplarische Weise.
Der Sohn eines schlesischen Steuerbeamten meldete sich 1944 von der noch nicht beendeten Schule weg als Kriegsfreiwilliger zur Marine, kam noch zum Einsatz, geriet aber alsbald in sowjetische Gefangenschaft, in der der Sohn aus einem katholisch geprägtem Haus in den Sog kommunistischer Ideologien geriet. Mit den höheren Weihen der „Antifaschule 2041“ versehen, musste er nach seiner Entlassung aus der Kriegesgefangenschaft, die Heimat besetzt und fremd verwaltet, geradezu zwangsweise im Rheinland in die stark gegenläufig strömenden Fahrwasser der um Deutschland buhlenden Kräfte gelangen.
Er engagierte sich in der Freien Deutschen Jugend(FDJ), jener kommunistischen Jugendorganisation, die unter der Ägide Erich Honeckers nicht ganz ohne anfängliche Erfolge auf der Klaviatur „Kampf“ gegen die „Wiederbewaffnung und Remilitarisierung Westdeutschlands“ und „Pazifismus“ spielte und auf eine von Moskau propagierte Wiedervereinigung abzielte. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit ihrer Thesen verstieß diese Organisation damit gegen die Langzeitstrategie der Gegenmacht namens Status quo, und wurde mitsamt KPD verboten.
Der hauptamtliche FDJ-Funktionär Seiffert erhielt in einem Prozess die Strafe von vier Jahren Gefängnis, aus dem er nach zwei Jahren mit oder ohne Genossenhilfe ausbrechen und in die DDR flüchten konnte. Die Haftzeit geriet auch ihm, wie so vielen anderen politischen Köpfen gleichsam zur ersten Hochschule.
In der Gefängnisbibliothek hatte er sich auch mit den windigen Kampfpraktiken des windigen Gegenreformators Ignatius von Loyola beschäftigt, die erste Zweifel an der in der sowjetischen Gefangenschaft vermittelten Heilslehre aufkommen ließen. Wie er später in seinem weithin autobiographisch geprägtem Buch „Selbstbestimmt“ erläuterte, stieß er dabei auf aufschlussreiche, ihm durchaus bekannte Parallelen: „Mir wurde dabei schnell klar, dass die Organisationsprinzipien und Strukturen der Kommunistischen Partei, wie wir sie auf der ´Antifa-Schule´ gelehrt bekommen hatten, keine neue Erfindung von Lenin und Stalin waren. Schon der Jesuitenorden hatte sie aus seine Weise und für seine Ziele praktiziert“.
So setzt er sich, davon nicht unbeeinflusst, allmählich von der ideologischen Sphäre ab und nimmt eine akademische Karriere in den Blick, die mit einer Aspirantur an der Berliner Humboldt-Universität beginnt, die er mit dem Studium von Arbeits-, Wirtschafts- und eben seiner späten eigentlichen Domäne, dem Völkerrecht, fortführt.
Im Zuge dieser Tätigkeit lernte er sie alle kennen, die die Weichenstellungen für die DDR auf Weisung Moskaus vorgenommen haben: Walter und Lotte Ulbricht, Margot Feist und ihren spätren Ehemann Erich Honecker, Hanna Grotewohl und Hilde Benjamin, eine von abgründigem Hass erfüllte Juristin.
Spätestens mit dem Mauerbau, den ein Ulbricht noch in kruder Dialektik mit einer angeblichen „nationalen Mission“ begründet, mehren sich bei Seiffert die Zweifel, auf der richtigen deutschen Seite zu stehen. Als Honecker schließlich noch auf Moskaus Weisung die Wiedervereinigung aus der DDR-Verfassung streichen lässt, die noch unter Ulbricht politisches Hauptziel war, sperrt er sich immer stärker gegen diesen lebensfremden Separatismus.
Seiffert urteilte später: „Ich fühlte mich persönlich tief getroffen, war ich doch für das Ziel der deutschen Einheit ins Gefängnis gewandert, und Honecker selbst hatte öffentlich gelobt, für dieses Ziel zu kämpfen so wie ich“. Auch die Hoffnung Ulbrichts: „Wir müssen ökonomisch stark werden, dann werden wir die Auseinandersetzung um Deutschland gewinnen“, erfüllt sich nicht.
1976 verlässt er mit einem völkerrechtlichen Kniff die DDR, den Honecker billigen muss, um in Kiel zunächst Gastvorlesungen zu halten, 1978 kommt seine Familie nach.
In Westdeutschland findet der Völkerrechtler nun eine Situation vor, die sich aus der Indifferenz diverser Bundesregierungen und der bösen propagandistische Aussaat der SED in Sachen deutscher Einheit nährt: Honeckers so genannte „Geraer Forderungen“ nach Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsbürgerschaft standen kurz vor ihrer Erfüllung durch die westdeutsche Seite. Die in Salzgitter ansässige Zentrale Erfassungsstelle für politische Verbrechen in der DDR war in Auflösung begriffen, die Forderung nach Wiedervereinigung, zwingendes Gebot des Grundgesetzes, schon fast zur bloßen Feiertagsrhetorik verkommen, stand (Warum auch?) immer noch nicht auf der „Tagesordnung der Weltpolitik“, häufig bediente Ausrede, und wurde unterschwellig längst in einschlägigen Zirkeln immer lauter als „Lebenslüge“ und als verworfene Anmaßung „Ewiggestriger“ diffamiert.
Als Wolfgang Seiffert mit der ungelösten deutschen Frage an die Öffentlichkeit gelangen konnte, löste er mehr als Unbehagen aus: Otto Schily, der gerade bei den Grünen sein Gastspiel gab, „bezweifelte damals, ob es die beste Situation sei, wenn alle Deutschen unter einem Dach versammelt sein würden“. Peter Bender, Berater Brandts und WDR-Publizist befand, dass das „Gleichgewicht“ der Kräfte in Europa „eine weitere Teilung Deutschlands“ verlange. Die Liste der distanziert oder gar feindselig zur Aufhebung der deutschen Teilung agierenden Zelebritäten ließe sich beliebig fortsetzen.
Es genügt, auf die Reaktion Richard v. Weizsäckers zu verweisen, der Seiffert nach dem Erscheinen seines Buches „Das ganz Deutschland“ ermahnte: „Bei einer zweiten Auflage sollten Sie die Karte auf dem Buchumschlag noch größer machen, damit man sieht, dass auch ein vereinigtes Deutschland immer noch kleiner ist als Frankreich“!
Andere mahnten nicht, sondern stellten Hilfe in Aussicht: So der damalige Außenminister Genscher, der Seiffert einen „Beratergruppe“ versprach, die freilich nie tagen konnte, da sie nie zustande kam. Es war nur politisches Gesäusel, das auf Wählerstimmen abzielte.
Allmählich registrierte Seiffert das Oberflächengerassel der bundesdeutschen Akteure als politisches Prinzip und attackierte bei passender Gelegenheit: Günter Gaus etwa, der anders als R. Augstein, deutlichen Abstand zu den deutschen Dingen hielt, bekam auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie in Loccum von Seiffert eine gepfefferte Breitseite: „Als Sie Chefredakteur vom Spiegel waren, haben Sie nicht gewusst, wo die DDR liegt. Nachdem Sie dort sechs Jahre lang der Ständige Vertreter Bonns waren, wissen Sie nicht, wo Sie gewesen sind!“
Mit dem seit den siebziger Jahren immer rascher fortschreitenden wirtschaftlichen Verfall des Warschauer Paktsystems gerieten rasch die hehren Worte von Völker-, Werte- und Menschengemeinschaft zu bloßer Makulatur. Das einem Untergang immanente Motto: Rette sich, wer kann! wird zur Losung des politischen Alltags, an dessen Ende für Moskau nur die Preisgabe aller im Weltkrieg erworbenen Latifundien stehen konnte, womit gleichsam über Nacht eine Bresche in die Mauer kommt, die den Weg zum Sturz des Honecker-Regimes freimacht.
Wie nach jeder Fremdherrschaft sind die geistigen und wirtschaftlichen Verheerungen in den dann verlassenen Gebieten groß. In Sachsen und Thüringen, den einst blühenden Regionen Deutschlands, sind die früher so leistungsfähigen mittelständischen Betriebe nahezu durchweg vernichtet, in Anhalt ist die früher den Weltmarkt bestimmende chemische Industrie auf dem Stand der Vorkrieges festgefahren, in Mecklenburg und Vorpommern hat sich die Landwirtschaft noch keineswegs von den Folgen der Zwangskollektivierungen erholt, die Dörfer und Städte überall dem Verfall nahe.
Politische Kräfte, die vordem deutlichen Abstand zu Lösungsversuchen der deutschen Teilung hielten, bemühen nun, häufig Eigennutz und ihre politische Zukunft im Blick, rasche Lösungen, die mitunter auch rechtlich im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. So werden die SBZ- Enteignungen, die unter der Willkür der sowjetischen Besatzungsmacht vollzogen wurden, nicht rückgängig gemacht. Gerade hier wären mit der regulären Wiedereinsetzung der Alteigentümer die stärksten Impulse für Industrie, Landwirtschaft und Verwaltung für die einst so leistungsfähigen Länder zu erwarten gewesen.
Doch die vielen, teilweise sogar abenteuerlichen Ausflüchte der Regierung gipfelten in der Behauptung von Kanzler Kohl, die Sowjetunion hätte der Vereinigung nicht zugestimmt, wenn die SBZ- Enteignungen rückgängig gemacht worden wären. Und hier ist es wieder der engagierte Deutschlandpolitiker und Völkerrechtler Wolfgang Seiffert, der gelegentlich einer Tagung Michail Gorbatschow auf diese angebliche Forderung anspricht. Obwohl Seiffert die russische Sprache perfekt beherrscht, muss er drei Anläufe nehmen, um Gorbatschow den Sachverhalt überhaupt verständlich zu machen. Als dieser endlich begreift, was seiner Regierung unterstellt wurde, weist er dies entrüstet mit dem Hinweis auf das Völkerrecht zurück.
Auch als diese Äußerung Gorbatschows öffentlich gemacht wurde, unterblieb bis auf den heutigen Tag die überfällige Korrektur, sehr zur Entrüstung des Völkerrechtlers Seiffert, der von seinem Streben nach geregelter Ordnung und vom Recht nicht ablassen konnte und inzwischen in Moskau ein Rechtsinstitut aufbaute, das deutschen Rechtstraditionen verpflichtet blieb, sowie einer Schiedskommission vorstand, die über wirtschaftliche Rechtsfragen zu befinden hatte.
Auch als er schließlich aus Altersgründen diese Tätigkeit aufgab, wieder in Hamburg wohnte, ließ er nicht nach, sich weiterhin seiner Lebensaufgabe Recht und Wahrheit zu stellen. Wiederholt schrieb er nun Redaktionen an, um sie mit der Fülle seines Wissens durch Gegendarstellungen in die Spur von Wahrhaftigkeit zurückzuführen. Auch wenn ihm, wie er klagte, ein Echo zumeist versagt blieb, da Redaktionsmitarbeiter sich eher zeitgeistigen und den Arbeitsplatz sichernden Tendenzen als historischer Wahrheit verpflichtet fühlten, mochte er davon fast bis zu seiner schweren Erkrankung hin, nicht ablassen.
Es bleibt aber auch dies für den Lebensgang des Wolfgang Seiffert, der nun in einem Hamburger Krankenhaus verstarb, der die Höhen und Tiefen verwegener ideologischer Theorien und die Spannungsfelder unseres Volkes in seiner jüngeren Geschichte erlebte und durchlief, ein für sich selbst sprechendes Zeugnis, das dem Motto E.M. Arndts folgte: „Tue, was dein Gewissen spricht“. Die Erde, die ihn nunmehr deckt, dürfte sanft auf ihm ruhen.
Peter Fischer