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"Die DDR war eine inhumane Diktatur" / DIE WELT, 25.04.2009


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Von Thorsten Jungholt

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts lobt die Arbeit der Stasi-Beauftragten und warnt die Justiz, die historische Aufarbeitung zu behindern

Der Besuch des Jahrestreffens der Stasi-Beauftragten gestern in Erfurt war Hans-Jürgen Papier ohnehin ein besonderes Anliegen. Schon vor Monaten hatte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts die Einladung der Thüringer Landesbeauftragten Hildigund Neubert angenommen und zugesagt, eine Rede über demokratische Bürgertugenden als gemeinsame Wurzeln der friedlichen Revolution 1989 und der Geburtsstunde des Grundgesetzes 1949 zu halten.

Angesichts der in den vergangenen Monaten zunehmenden Bestrebungen, in der öffentlichen Debatte eine Verklärung der in der DDR herrschenden Verhältnisse herbeizuführen, ging Papier über dieses Thema jedoch weit hinaus. Der Präsident nutzte seine Rede auch zu einigen, aus seiner Sicht aktuell notwendigen Klarstellungen. Unmissverständlich äußerte er sich zu der Frage, ob die DDR ein ganzer, halber oder gar kein Unrechtsstaat gewesen ist. "Die DDR war nach allen denkbaren Definitionen kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat", sagte der Jurist und rief zur Illustration einige Fakten aus dem Jahr des Mauerfalls in Erinnerung. Noch im Februar 1989 sei an der Berliner Mauer ein Mensch beim Fluchtversuch erschossen worden, die vier beteiligten Grenzsoldaten hätten Prämien von je 150 Mark dafür erhalten. "Menschenverachtung hatte sich ein durchaus bürokratisches Antlitz gegeben", sagte Papier. Angesichts von über 90 000 hauptamtlichen und 175 000 inoffiziellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit, also einer von Spitzeln unterwanderten Gesellschaft, fiel ihm eine andere Umschreibung des Begriffs Unrechtsstaat ein: "Inhumane Diktatur".

Auch die Forderung der Thüringer Landesbeauftragten Neubert, die wissenschaftliche Aufarbeitung der Stasi-Akten müsse kontinuierlich fortgesetzt werden, fand die Unterstützung von Deutschlands oberstem Richter. Es bereite ihm besondere Sorge, "wenn die Beschäftigung mit der historischen Aufarbeitung der DDR neuerdings des Öfteren in Misskredit gebracht werden soll", sagte Papier. Der unverstellte Blick auf das DDR-Regime möge aufgrund der zeitlichen Nähe schwerfallen, gleichwohl müsse er immer wieder versucht werden. Dafür sei die Arbeit der Stasi-Beauftragten unerlässlich. "Sie haben ihren Teil dazu beizutragen, dass aufschlussreiche Informationen über die Wirklichkeit in der DDR vor dem Vergessen bewahrt werden", sagte Papier. Nach seiner Einschätzung sind die in den Archiven gelagerten Informationen gerade wegen ihrer konspirativen Erhebung authentischer als alle offiziellen DDR-Verlautbarungen - und auch näher an der Realität als so manche "ostalgische Verklärung".

Als Rüge so mancher Pressekammer deutscher Gerichte lässt sich Papiers Einlassung zu den zunehmenden Versuchen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter lesen, die Veröffentlichung ihrer Namen juristisch zu verhindern. "Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären", sagte Papier.

Das ist nicht nur seine Privatmeinung, sondern die des Bundesverfassungsgerichts. Papier zitierte aus einem Urteil seines Gerichts aus dem Jahr 2000, in dem es heißt: "Die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems ... Schon daraus ergibt sich das Aufklärungsinteresse. Überdies vermag die historische Erfahrung mit einer Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten eine Anschauung darüber zu vermitteln, welchen Gefahren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt sind."

Insofern ließen sich, wie von einigen Rechtsanwälten immer wieder versucht, die Grundsätze des Lebach-Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 nicht auf die Aufarbeitung der SED-Diktatur übertragen. Damals hatte das Gericht über die Fernsehausstrahlung eines Dokumentarspiels über einen Raubmord zu befinden. Der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde, ein Tatgehilfe, stand zum Zeitpunkt der geplanten Ausstrahlung kurz vor seiner Entlassung aus der Strafhaft. Das Verfassungsgericht hatte in diesem Fall dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers Vorrang vor der Rundfunkfreiheit eingeräumt. "Offensichtlich trifft diese Konstellation im Fall der Mitarbeiter des MfS und der Beschäftigung der Opfer des SED-Regimes mit ihrer eigenen Ausspionierung aus mehreren Gründen überhaupt nicht zu", sagte Papier. Durch eine vorschnelle Übertragung des Lebach-Urteils drohe gar "eine Paralysierung von Stasi-Opfern, Medien und Wissenschaft".