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Schwarzbuch

Wegen besonderer Aktualität: Grundsatzerklärung zum ZOV-Aufsatz, Autoren Dr. Wasmuth und Kempe


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                                                     Presseerläuterung      

   München/Leipzig im November 2008

 Wiedergutmachung wegen repressiver Verfolgung Industrieller in der SBZ wieder
    brandaktuelles Thema  Funde aus dem sächsischen Staatsarchiv belegen flächendeckenden Mißbrauch
  von strafrechtlichen Vorschriften, der bis 2011 durchsetzbare strafrechtliche         Rehabilitierungsansprüche auslöst     Schweres Versagen der Rehabilitierungsgerichte bei Unrechtsaufarbeitung

18 Jahre seit Herstellung der deutschen Einheit gelten die brutalen Unrechtsakte mit
zehntausenden von Todesopfern, welche deutsche Kommunisten ab 1945 in der Sow-
jetischen Besatzungszone unter dem Deckmantel der Entnazifizierung gegenüber
Industriellen und Gewerbetreibenden betrieben haben, als aufgearbeitet, nachdem
sich auch das Bundesverfassungsgerichts im Rahmen seiner Rechtsprechung zur
„Bodenreform“ mehrfach dazu geäußert hatte.

Nun aber warten der Münchener Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth und der
Leipziger Julius Albrecht Kempe in einer eingehenden rechtswissenschaftlichen Un-
tersuchung, die im gerade erschienenen Heft 5 (November 2008) der Zeitschrift für
offene Vermögensfragen (ZOV ) veröffentlicht ist, mit neuen Erkenntnissen auf. Ging
die Rechtsprechung aufgrund der bislang bekannten Rechtsgrundlagen und der tat-
sächlich ergriffenen Maßnahmen davon aus, es habe sich lediglich um Maßnahmen
der kommunistischen Vergesellschaftung gehandelt, weshalb lediglich geringe Aus-
gleichsleistungsansprüche bestünden, zeichnen die Autoren aufgrund eingehender
Recherchen u.a. in sächsischen und russischen Staatsarchiven sowie Unterstützung
namhafter Historiker ein ganz anderes Bild. Sie weisen nach, daß es sich um eine ge-
gen Tausende Betroffene gerichtete Strafaktion mit schwersten Sanktionen handelte,
die mit den Massenverhaftungen und unzähligen Todesfällen in der sowjetischen
Besatzungszone über einen systematischen Verfolgungsplan eng verknüpft war. Die
bundesdeutsche Rechtsprechung hat damit diese Verfolgungsfälle maßgeblich ver-
kannt, wesentlich verharmlost und ist durch die Anwendung unzutreffender Gesetze
zu falschen Ergebnissen gelangt.

Wasmuth und Kempe belegen, daß den Betroffenen noch bis Ende 2011 die Möglich-
keit eröffnet ist, eine strafrechtliche Rehabilitierung und danach u.a. die Rückgabe
ihrer Unternehmen und ihres Privatvermögens zu betreiben. Dazu führen sie aus,
daß nach der Konzeption des Einigungsvertrages strikt zwischen Recht der offenen
Vermögensfragen und Rehabilitierungsrecht zu unterscheiden ist. Ersteres ist auf
Veranlassung der Bundesregierung geregelt worden und erfaßt nur Unrechtsakte,
die sich in einer entschädigungslosen oder diskriminierenden Vermögensschädigung
erschöpft haben. Das Rehabilitierungsrecht geht dagegen auf die Initiative der DDR
zurück und erfaßt Vorgänge von gegen Personen gerichteten Akten der politischen
Verfolgung und zwar auch dann, wenn sie sich unter sowjetischer Besatzungshoheit
ereignet haben. Dies hat nicht nur das noch am 9. September 1990 erlassene DDR-
Rehabilitierungsgesetz so regelt. Vielmehr haben auch bereits DDR-Gerichte und
bundesdeutsche Gerichte der Nachwendezeit solche besatzungshoheitlichen Verfol-
gungsfälle auf der Grundlage von Kassationsvorschriften rehabilitiert. Dies bedeutet
auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter, dass solche
grob rechtsstaats- wie völkerrechtswidrigen politischen Verfolgungen „auch in ver-
mögensmäßiger Hinsicht zu rehabilitieren sind.“

Damit sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - angefangen vom
Bodenreformurteil aus dem Jahre 1991 - nicht mehr einschlägig. Diese hatten ledig-
lich die Verfassungsmäßigkeit des Rückgabeausschlusses nach dem Recht der offe-
nen Vermögensfragen bestätigt, wiederholt aber auch betont, sollten sich Akte der
politischen Verfolgung nachweisen lassen, sehe die Sache ganz anders aus. Dies fest-
zustellen sei Aufgabe der Fachgerichte.

Nach der Untersuchung von Wasmuth und Kempe sind die Fachgerichte dieser Auf-
gabe bis heute nicht nachgekommen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen ist die Ver-
folgung seinerzeit in der SBZ in wesentlicher Beziehung geheim durchgeführt wor-
den. Die Einzelheiten waren häufig auch in der DDR nicht bekannt. Zum anderen hat
sich im Anschluß an das Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts eine
deutliche Bereitschaft zu Verdrängung des Unrechts in der SBZ breit gemacht.

Wasmuth und Kempe beschreiben nun, daß die flächendeckend mit dem sächsischen
Volksentscheid vom Sommer 1946 einsetzende Verfolgung Industrieller und Gewer-
betreibender nicht nur dem Zugriff auf das betriebliche Vermögen gedient hat. Viel-
mehr hat sie das Ziel verfolgt, „sich den ganzen alten Dreck der bürgerlichen Klasse
und ihrer Gesellschaftsordnung .... gnadenlos vom Halse zu schaffen“ und diese zu
„liquidieren“. Umgesetzt wurde dies durch Erlaß von seinerzeit unveröffentlichten
Richtlinien der sächsischen Blockparteien zum Volksentscheid. Sie enthalten drei
Straftatbestandsgruppen. Außerdem halten sie fest: „Der Volksentscheid richtet sich
also ausschließlich gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressen-
ten. .... Der beabsichtigte Volksentscheid ist also keine wirtschaftliche Maßnahme.“
Folge des Schuldspruchs nach diesen Richtlinien war ein ganzes Szenario von Sank-
tionen: vollständiger Entzug des betrieblichen und privaten Vermögens, Entzug von
Altguthaben, Aberkennung der Gewerbe- und Berufsfreiheit, Ausschluß vom akti-
ven und passiven Wahlrecht sowie Registrierung und öffentlicher Tadel als Kriegs-
und Naziverbrecher. Weitere Folge war die Inhaftierung oder Internierung in La-
gern, nachdem sowjetische Organe über den Schuldspruch oder mittels geeigneter
Denunziationen informiert waren.

Wasmuth und Kempe charakterisieren den Verfahrensgang der Verfolgung als Teil
der „erbarmungslosesten Stufe der kommunistischen Machtdurchsetzung, in wel-
cher die Machthaber in voller Rücksichtslosigkeit von ihrer Strafgewalt Gebrauch
machen.“ Dazu waren generalstabsmäßig organisierte Beschuldigungen etwa durch
Sonderkommissare der Zentralen Deutschen Kommission für Sequestrierung und
Beschlagnahme oder Denunziationen durch von der SED gesteuerte Betriebsräte
oder unmittelbar durch SED-Parteiorganisationen Anlaß für Ermittlungen der Lan-
desverwaltung Sachsen. Diese wiederum hat - in Art einer Anklageschrift - Untersu-
chungsberichte an die extralegal agierenden Landeskommissionen versandt, die über
die Schuld oder Nichtschuld des Betroffenen entschieden. Die endgültige Entschei-
dung traf das sächsische Gesamtministerium (Kabinett der Landesregierung).

Kennzeichnend für diese von der SED beherrschten Organe war, daß sie wie sämtli-
che mit der strafrechtlichen Entnazifizierung in der SBZ befaßten Aburteilungskom-
missionen außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, aber mit richterlichen Kompe-
tenzen ausgestattet, agierten, ohne auch nur ein Mindestmaß strafprozessualer Ga-
rantien einzuhalten. Typologisch entsprachen sie dem auf Veranlassung der SED in
der Spätphase der kommunistischen Entnazifizierung installierten Sondergericht in
Waldheim, mit dem die letzten Verfahren auf der Grundlage der Ideologie des
kommunistischen Antifaschismus in menschenverachtender Weise durchgeführt
wurde. Die Kommissionen sind in der DDR zumeist im Ministerium für Staatssi-
cherheit aufgegangen. Soweit die Ziele der SED noch nicht mit dem strafrechtlichen
Instrumentarium der Entnazifizierung erledigt worden sind, wurden Wirtschafts-
strafverfahren inszeniert. Auch dafür wurden parteieigene Kommissionen einge-
setzt. Eine erste solche Prozeßwelle richtete sich gegen Textilunternehmen in Glau-
chau-Meerane.

Die Verfahrensweise in Sachsen ist dann entsprechend auch in den übrigen Ländern
und Provinzen der SBZ praktiziert worden. Nachdem sich in Ostberlin die Verfahren
wegen des besonderen alliierten Status der Stadt bis in das Jahr 1949 hinein verzögert
hatten, wurden die gegen Industrielle eingeleitete Strafverfahren aber bereits unmit-
telbar auf die in der SBZ ausschließlich als Strafgesetz angewandte Kontrollratsdirek-
tive Nr. 38 angewandt.

Die Untersuchung von Wasmuth und Kempe belegt, daß die Entscheidungen bun-
desdeutscher Behörden und Gerichte zur sog. Industriereform regelmäßig auf der
Feststellung eines unzutreffenden und den tatsächlichen Unrechtscharakter verken-
nenden Sachverhalt beruhen und deshalb auf unzutreffende Rechtsgrundlagen ge-
stützt wurden. Tatsächlich steht den Betroffenen oder ihren Erben regelmäßig ein
Anspruch auf strafrechtliche Rehabilitierung zu. Entsprechende Anträge können
noch bis zum 31. Dezember 2011 gestellt, bereits abgeschlossene Verfahren wieder
aufgerollt werden.

Damit würde zugleich einer erschreckenden und durchgreifenden Schieflage in der
ostdeutschen Wirtschaft abgeholfen. Denn nach den Forschungsergebnissen des In-
stituts für Wirtschaftsforschung in Halle – so legt es dessen Präsident, Professor Ul-
rich Blum in aktuellen Vorträgen überzeugend dar – liegt der gravierendste Mangel
in der ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung, der noch auf Jahrzehnte eine Anglei-
chung an westdeutsche Verhältnisse schlicht unmöglich macht, darin begründet, daß
die fundamentalen Rechtszerstörungen am Eigentum durch die NS- wie die SED-
Diktatur vor allem im Mittelstand nicht einmal ansatzweise durch die bisherige und
daher fehlerhafte Rechts- und Wirtschaftspolitik korrigiert , sondern im wesentlichen
durch eine staatliche Interventionspolitik der Treuhandanstalt und des Bundesfi-
nanzministeriums lediglich fortgesetzt wurden. Ohne ein nachhaltiges Umdenken
auch in der Wirtschafts- und Strukturpolitik sei eine Angleichung der ostdeutschen
Verhältnisse an den Westen – wie etwa das Beispiel Leipzig zeige – noch auf sehr
lange Zeit nicht zu erwarten.

2. Dezember 2008  -  KE-WA