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< Wer - um Himmels Willen - ist Bartolus? > Anmerkungen zum BVerwG-Urteil vom 21.02.2002 zum VwRehaG


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Wer - um Himmels Willen - ist Bartolus?

Anmerkungen zum BVerwG-Urteil vom 21.02.2002 zum VwRehaG von Dr. Thomas Gertner, 18.04.2002

Als ich noch Student an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn war, besuchte ich gern die Vorlesungen des seit Langem verstorbenen Prof. Heinrich Vogt über Römische Rechtsgeschichte, zum Einen, weil man dort einen Seminarschein mit relativ geringem Aufwand erwerben konnte, aber auch und vor Allem deshalb, weil dieser Professor einfach kurios war,und Lachen ist bekanntlich gesund. Ein Steckenpferd dieses Professors war die rechtsgeschichtlich bedeutsame Leistung der sog. Kom­men­ta­toren und Glossatoren, die Herausragendes geleistet haben in Bezug auf die Fortbildung des alten Römischen Rechts.
An erster Stelle nannte Prof. Vogt Bartolus de Sassoferato. Wir tumben Studenten, die wir nur unseren Spaß haben wollten, riefen mit ihm diesen Namen im Chor, ohne das Geringste zu begreifen. Wann immer sich alte Bonner Studenten treffen, kommt es nicht selten vor, dass wir die Stimme des Prof. Vogt nachäffen und den Namen Bartolus rufen.

Jetzt holt mich die Vergangenheit wieder ein, nachdem das BVerwG sein Urteil vom 21.02.2002 einem staunenden Fachpublikum zum Besten gegeben hat, und plötzlich bin ich gezwungen, mich mit Bartolus und seinen Lehren auseinander zu setzen. Das Lachen meiner unbekümmerten Studentenzeit ist mir im Hals stecken geblieben. Also: Wer war Bartolus und warum ist das, was er gelehrt hat, von aktuellem Interesse?

Bartolus de Sassoferrato war ein italienischer Jurist, der im 14. Jahrhundert in den Universitäten von Pisa und Perugia das Corpus iuris civilis lehrte.

Auf ihn wurde ich nun aufmerksam, als ich mich mit einem Artikel in der Süddeutschen Juristenzeitung (SJZ) aus dem Jahre 1948 beschäftigte. Dr. A. Arndt, weiland Ministerialrat in Wiesbaden, führte dort aus, die internationale Rechtsübung habe sich bereits seit dem 14. Jahrhundert geweigert, ausländischen Maßnahmen zur Wirkung zu verhelfen, die nach Bartolus als "privilegia odiosa" politische Ausnahme-gesetze gegen bestimmte Personengruppen darstellen (Arndt, SJZ 1948, Sp. 145).
Auf diesen Artikel hat sich der BGH in einem Grundsatzurteil vom 11.02.1953 berufen. Bezogen auf Vermögenseinziehungen, die während des NS-Regimes auf Grund damals formell gültiger Rechtsvorschriften vorgenommen worden, führte der BGH aus, dass politische Ausnahmegesetze gegen bestimmte Personengruppen so sehr dem allgemeinen Rechtsempfinden widersprechen, dass es alle Kulturnationen seit Jahrhunderten ablehnen, sie als Recht anzuerkennen (BGHZ 9, 34, 44).

Merken Sie jetzt, worauf ich hinaus will? Lesen Sie die Bodenreform-Verordnungen, und zwar jeweils deren Art. 1 mit Bedacht durch.
Herr Jestaedt hat dies getan, aber leider finden wir Richter seines Typs immer seltener, sondern werden mit Positivisten, seelenlosen und amoralischen Subsumtionsautomaten, konfrontiert.
In den Verordnungen heißt es zur politischen wie "moralischen" Rechtfertigung der Einziehung des Großgrundbesitzes, die Bodenreform müsse "der Herrschaft der Großgrundbesitzer im Dorfe ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus darstellte und eine Hauptquelle der Aggression gegen andere Völker war".

Allein auf Grund bestimmter von der Person völlig unabhängiger Merkmale - im menschenrechtlichen Sinne spricht man von "unveräußerlichen Merkmalen" - wurde eine soziale Schicht für vogelfrei erklärt. Es liegt also eine politische Verfolgung vor, und zwar deshalb, weil diese sog. Klasse der "Großgrundbesitzer" aus der sozialen Friedensordnung der Gemeinschaft ohne ihr Verschulden im strafrechtlichen Sinne ausgegliedert worden ist.
Gleiches gilt aber auch dann, wenn Gesetze von Gerichten und Behörden willkürlich angewandt worden sind mit dem Ziel einer politischen Verfolgung, wie bei den Bodenreformopfern mit Bauernhöfen von weniger als 100 ha und bei den weitaus meisten Opfern der sog. Industriereform, soweit diese nicht wegen schwer wiegender Verbrechen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 angeklagt und nach Gewährung rechtlichen Gehörs verurteilt worden sind, wobei das Strafmaß die Einziehung des Vermögens nach Maßgabe der Kontrollratsdirektive Nr. 38 iVm. dem SMAD-Befehl Nr. 201 hätte rechtfertigen müssen.

Der dritte Senat des BVerwG hat ein weiteres Mal - nach seiner bedenklichen Entscheidung vom 08.03.2001 - einen Rechtssatz aufgestellt, der die Befürchtung aufkommen lässt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland auf Grund fiskalisch bedingter Zwänge aus dem Kreis der zivilisierten Rechtsstaaten verabschiedet hat.
Er bejaht die politische Verfolgung und missbilligt damit inzidenter das der sowjetischen Besatzungsmacht politisch zuzuordnende rechtsstaatswidrige Verhalten deutscher Behörden, verweigert aber die Rehabilitierung deshalb, weil dann konsequenterweise gem. § 7 Abs. 1 VwRehaG die noch in Staatshand befindlichen Vermögenswerte zurückzugeben wären; und dies würde die Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR desavouieren.
Warum hat sich der Gesetzgeber dann aber nicht lediglich darauf beschränkt, die Rückgabe auszuschließen, sondern warum soll der auf den Geschädigten lastende Makel deswegen auf diesen lasten, weil der Fiskus die aus der Rehabilitierung resultierenden vermögensrechtlichen Folgen nicht tragen zu meinen glaubt?

Diese Rechtsverweigerung wird Konsequenzen haben, wenn nicht das BVerfG die Reißleine zieht - und zwar vor dem EGMR in Straßburg. Brauchen wir wieder einmal ausländische Hilfe, damit bei uns die freiheitlich-demokratische Grundordnung wiederhergestellt wird? Quo vadis, Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland?

Dr. Thomas Gertner