Eigentumsgefährdung - insbesondere in den jungen Ländern
Eigentumsgefährdung - insbesondere in den jungen Ländern
„Es ist verfassungswidrig, wenn der kommunale Ausbau- und Erschließungsbeitrag in den Neuen Bundesländern stets auf einmal und in voller Höhe fällig gestellt wird “ Autorenbeitrag von Peter Langreuter, Notar a.D., 28.10.2001
- Die Erschließung eines Grundstückes ist dessen Anbindung an die öffentliche Wasserver- und -entsorgung, die Energieversorgung und das öffentliche Straßennetz.
Erst durch die Erschließung wird ein Grundstück baureif und dadurch wertgesteigert zu einem Baustein jeglicher geordneten, baulichen Nutzung und Besiedlung innerhalb eines Gemeindegebietes.
Das Verfassungs- und Kommunalrecht weist folgerichtig den Gemeinden die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für die Erschließung von Baugrund als originäre Aufgabe zu.
Die Gemeinden haben zur Durchführung und Finanzierung dieser Aufgabe das Recht und die Pflicht den Anschlußzwang sowie Benutzungs- und Abgabensatzungen zu erlassen und dementsprechend Gebühren / Beiträge zu erheben.
Beiträge und Gebühren können nur aufgrund solcher Satzungen erhoben werden.Kein Kommunal Abgaben Gesetz (KAG) eines Bundeslandes oder eine hierauf gestützte kommunale Abgaben/Beitrags Satzung enthält eine ausdrückliche Bestimmung, daß Ausbau-und Erschließungsbeiträge nur sozialverträglich fällig gestellt werden können.
Es besteht - auf Antrag des Pflichtigen - lediglich die Möglichkeit einer Stundung. Eine solche Stundung ist in das Ermessen der Verwaltung gestellt.Die Beitragsschuld ruht -. ähnlich einer Grundschuld/Hypothek - auf dein Erschließungsobjekt. Dadurch wird unmittelbar in das Eigentum an dem Erschließungsobjekt eingegriffen.
Die dingliche gesicherte ( öffentlich-rechtliche ) Beitragslast ist gegenüber allen privatrechtlichen Grundpfandrechten ( Grundschulden, Hypotheken ) vorrangig: sie ist mithin in besonderer Weise wertblockierend.
Das ist die in Ost und West gleichermaßen bestehende Gesetzeslage. Dies hat zur Folge, daß in den alten und in den neuen Bundesländern der Ausbau und Erschließungsbeitrag stets auf einmal und in voller Höhe fällig gestellt wird und in diesem Umfang in das Eigentum am Grundstück eingreift Die Fälligstellung erfolgt mithin ohne jegliche Grundstück eingreift. Die Fälligstellung erfolgt mithin ohne jegliche Berücksichtigung der wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse des beitragspflichtigen Eigentümers.
- In den alten Bundesländern hat sich diese Gesetzeslage und die hierauf beruhende Verwaltungspraxis bewährt. Es sind insbesondere keine Verfassungsverstöße ersichtlich. Folgerichtig ist es dort - unbeschadet evtl. Ungerechtigkeiten in Einzelfällen - auch zu keinen nachhaltigen und öffentlichen Unmutsbekundungen breiter Bevölkerungsteile gekommen.
Verglichen mit den neuen Bundesländern haben gerichtliche Auseinandersetzungen über die kommunalen Erschließungskosten zwischen den Gemeinden einerseits und den Beitragspflichtigen andererseits auch nicht zu einem sprunghaften Anstieg von verwaltungsgerichtlichen Verfahren geführt.
Im Gegensatz hierzu begegnet die kommunale Verwaltungspraxis in den neuen Bundesländern schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Es wurde und wird weithin verkannt, daß auch in diesem Bereich ein signifikanter wirtschaftlicher und verfassungsrechtlich relevanter Unterschied zwischen Ost und West besteht.Es wird nicht berücksichtigt, daß aus weltanschaulichen Gründen der private ostdeutsche Hausbesitz gegenüber dem Plattenbau - sprich Volkseigentum - seit Jahrzehnten diskriminiert war: Mieten, die zu keiner Zeit kostendeckend waren und die planwirtschaftlich verhinderte Instandsetzung des meist aus der Vorkriegszeit stammenden privaten Hausbesitzes haben dazu geführt, daß nahezu 2/3 seines Bestandes erst nach dem Krieg - sprich zu DDR Zeiten - verrottet sind. Die Infrastruktur der ( unterirdischen ) Erschließungssysteme war und ist in mindesten dem gleichem Umfang verrottet. Das lnstandsetzungs - und Erneuerungsvolumen für die neuen Bundesländer beläuft sich nach einer Untersuchung der Deutschen Bank von April 1997 für den Bereich Trinkwasser auf 30 Milliarden DM für den Bereich Abwasser auf 100 Milliarden DM. Es war somit schon aus volkswirtschaftlichen Gründen unabweislich nach der Wende dem weiteren, einem Totalverlust gleich zu setzenden Verfall der ober - und unterirdischen Bausubstanz unverzüglich Einhalt zu gebieten.
Bereits jetzt hat die Sanierung der verrotteten Haussubstanz die Ressourcen der privaten Hausbesitzer in aller Regel auf viele Jahre erschöpft. Dem privaten Hauseigentümer ist somit objektiv keine Möglichkeit verblieben, neben der Sanierung pp der Bausubstanz auch nach die Mittel zur Bezahlung der auf einmal und in voller Höhe fällig gewordenen Erschließungskosten aufzubringen. Eine weitere Beleihung ostdeutscher Erschließungsgrundstücke scheitert auch daran, daß die Beleihungsgrenze durch die vorrangige dingliche Last des Erschließungsbeitrags in nahezu allen Fällen ausgeschöpft ist. Der deswegen seit Jahren bestehende, sich ständig ausdehnende Unmut der Bevölkerung ist nicht nur verständlich, sondern auch berechtigt. Für den Kenner der ostdeutschen Verhältnisse war und ist es keineswegs überraschend, daß dieser Mißstand - neben der Arbeitslosigkeit - zwischenzeitlich das Hauptthema jeder ostdeutschen Innenpolitik geworden ist. Es ist nur folgerichtig, daß bei den letzten Kommunalwahlen in den neuen Bundesländern jene politischen Gruppierungen an Boden gewonnen haben, deren Anliegen die Beseitigung dieses beitragsrechtlichen Mißstandes ist. Das erfolgreiche Abschneiden der PDS, die im Osten zwischenzeitlich die zweit stärkste Partei wurde, und der zahlreichen Wahlgruppierungen aus entsprechenden Bürgerinitiativen ist nicht zuletzt auf diesen Mißstand zurückzuführen.
Die hierdurch bedingte besondere Belastung betrifft den gesamten wohnlich oder gewerblich genutzten Grundbesitz der neuen Bundesländer. Die Belastung beläuft sich je nach Lage und Grundstücksgröße zwischen 7.500-. DM und einem mehrstelligen Millionenbetrag. Das Groß liegt bei Beträgen zwischen 8.000 und 25.00,- DM und dies in einem Gebiet mit einer realen durchschnittlichen Arbeitslosenquote von etwa 30 % mit steigender Tendenz.
Ungeachtet dieser objektiven. auf der Hand liegenden wirtschaftlichen und rechtlichen Sondersituation hält die ostdeutsche Verwaltung unbeirrt und uneinsichtig daran fest, daß der Erschließungs - und Ausbaubeitrag wie in den alten Bundesländern so auch im Osten stets auf einmal und in voller Höhe fällig gestellt wird.
- Diese in West und Ost höchst unterschiedliche und politisch auf Dauer auch durchaus bedrohliche Situation kann nicht damit begründet und erklärt werden daß die gesetzlichen Regelungen der ostdeutschen Kommunalabgabengesetze (KAGe) im Gegensatz zu den KAGe der alten Bundesländern höchst mangelhaft sind. Dies scheitert schon daran, daß insoweit kein in´s Gewicht fallender Unterschied der Gesetzeslage besteht.
Der Unterschied besteht vielmehr in der Gesetzesauslegung und -anwendung.Es wurde von Anfang an übersehen, daß die in Art. 14 GG statuierte Sozialpflichtigkeit des Eigentums beileibe keine Einbahnstraße nur zu Lasten des Eigentümers ist, sondern mit dem selben verfassungsrechtlichen Gewicht auch ein Schutz des Eigentümers vor nicht gerechtfertigte, in Sonderheit bestandsgefährdende Zugriffe der öffentlichen Hand. Es sind dies zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Eine solche verfassungswidrige Bestandsgefährdung kann sich sowohl aus der Höhe der Beitragslast ergeben als auch daraus, daß eine der Höhe nach nicht zu beanstandende Beitragslast in einer Art und Weise fällig gestellt wird, die die finanzielle Leistungsfähigkeit des Eigentümers - also seine Zahlungskraft - übersteigt. Die Verfassung verbietet mithin sowohl den Entzug des Eigentums als auch dessen wirtschaftliche Aushöhlung.
Hierdurch soll dem Eigentümer verfassungsrechtlich im Vermögensbereich ein Freiraum geschaffen und garantiert werden, der ihm die eigenständige Entfaltung und die eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglicht.
Diese Belastungsgrenze ist der verfassungsrechtliche Rahmen der Eigentumsgarantie gern. Art 14 GG.Den ostdeutschen ( Landes -) Gesetzgebern ist allenfalls anzulasten, daß sie es angesichts der seit nahezu einem Jahrzehnt offen zu Tage liegenden, spezifisch ostdeutschen Situation verabsäumt haben verbindliche Vorschriften zu schaffen, die von vorneherein und zu Gunsten der beitragspflichtigen Eigentümer eine sozialverträgliche Zahlungslast sicherstellt. D.h. eine Zahlungsverpflichtung, die nur unter Berücksichtigung der individuellen, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des beitragspflichtigen Eigentümers fällig gestellt werden darf und kann. Dieses Säumnis der ostdeutschen Länderparlamente ist allerdings per se keine Verfassungswidrigkeit. Die durch die Verfassung garantierten Grundrechte (so das Eigentum gem. Art. 14 GG und der besondere Schutz der Familie gern. Art 6 GG ) sind von der öffentlichen Hand (hier: Verwaltung und Rechtsprechung) von Verfassungswegen und jederzeit zu Gunsten der beitragspflichtigen Eigentümer von Amtswegen zu berücksichtigen, ohne daß es hierzu einer besonderen, weiteren gesetzlichen Vorschrift bedarf. Dies ist übersehen worden.
Verfassungskonform kann somit nur eine solche Belastung eines ostdeutschen Erschließungsobjektes sein, die aus der Sicht des beitragspflichtigen Eigentümers sozialverträglich ist d.h. den Bestand des Eigentums an Grund und Boden weder entzieht noch aushöhlt.
Das Bundesrecht enthält Kriterien, die zur Bestimmung der Sozialverträglichkeit geeignet sind:
Sofern das Erschließungsobjekt- durch die Eigentümerfamilie bewohnt wird, der Wohngeld zusteht und oder der der gesteigerte Schutz der Familie zu zubilligen ist, oder
- als Betriebsvermögen des Eigentümers gewerblich genutzt wird und zur Erhaltung des Unternehmens notwendig ist,
ist es verfassungswidrig, den Erschließungsbeitrag stets auf einmal und in voller Höhe fällig zu stellen.
Im übrigen gilt das durch das Bundesverfassungsgericht festgelegte und damit die öffentliche Hand bindende Verfassungsverbot der wirtschaftlichen Aushöhlung von Eigentum.Neben dieser materiellrechtlichen Begrenzung des kommunalen Abgabenrechtes kann dem bedrängten privaten Grundbesitz auch verfahrensrechtlich geholfen werden. Diese Möglichkeit wird derzeit durch die Thür. Landesregierung geprüft.
Der Beitragsbescheid der derzeitigen Verwaltungspraxis beinhaltet drei unterschiedliche Elemente: Die Feststellung der Beitragspflicht dem Grunde nach! der Höhe nach und schließlich der Fälligkeit nach. Diese Zusammenfassung von drei materiellrechtlich eigenständigen Elementen zu einer verfahrensrechtlichen Einheiten führt dazu, daß in jedem Fall einer förmlichen verwaltungsbehördlichen - oder l gerichtlichen Überprüfung dieses (einheitlichen) Beitragsbescheides alle drei Elemente untersucht werden müssen, selbst wenn der Beitragspflichtige nur eine Überprüfung der Beitragshöhe oder- wie in der Masse der Fälle - nur eine sozialverträgliche Zahlungsweise anstrebt. Die Überlegung der Thüringer Landesregierung geht dahin entsprechend der (materiellrechtlichen) Dreigliederung auch drei verfahrensrechtlich eigenständige Beitragsbescheide einzuführen.
Nach aller Erfahrung würde eine solche Dreiteilung des Beitragsbescheides eine fühlbare Entlastung der Verwaltung sowie der Gerichte und damit eine Verfahrensbeschleunigung bewirken. Die Überprüfung wird verfahrensrechtlich auf das beschränkt, was strittig ist.
Dieses verfahrensrechtliche Reformvorhaben der Thüringer Landesregierung kann daher als ein erster Schritt nur begrüßt werden.