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Schwarzbuch

Das zerstörte zweite Wirtschaftswunder der Neuen Länder: Ein Kollateralschaden der Privatisierung?von Prof. Dr. Blum


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Viele Menschen in Deutschland, und diese Gruppe geht über die Vertriebenen hinaus, sind der Überzeugung, daß die Verweigerung der Restitution und damit letztlich auch die Verweigerung von Heimat einen nicht unerheblichen Teil der gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme des Ostens Deutschlands erklären. Der vorliegende Beitrag geht dieser Frage nach, indem er einmal grundlegende ordnungsökonomische Argumente sprechen läßt, zugleich aber die gegenwärtigen Entwicklungsengpässe des Ostens vor dem Hintergrund prüft, ob Restitution hier – und in welcher Form – einen Beitrag zur Chancenverbesserung hätte leisten können.

Eigentum stellt ein wichtiges Menschenrecht dar, das in einen Rahmen eingebettet ist, der in erheblichem Maße staatlich ausgestaltet ist. Dies geschieht auch mit der Rechtfertigung, daß es ohne den Staat diese Gewährleistungen von Eigentum nicht geben kann. The rule oft the law ist gleichermaßen ein gesellschaftlicher Garant wie ein Ausweis der Planungssicherheit für die Menschen. Eigentumsordnung und Staat sind interdependent und Teil einer moralischen Ordnung. Nicht umsonst zeichnen sich Revolutionen in der Regel dadurch aus, daß Staats- und Eigentumsrechte verändert werden ohne große Rücksicht auf die bisherigen Rechtstraditionen. Daraus folgt als erste Aussage:

(1) Die verbrieften und konstitutiven Eigentumsrechte der Bundesrepublik Deutschland wurden gegenüber den Flüchtlingen aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit, den aus der DDR vertriebenen Bundesbürgern, enteigneten DDR-Bürgern und zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch nicht enteigneten DDR-Bürgern dramatisch verletzt. Da kein übergesetzlicher Notstand als Begründung angegeben werden kann, fehlen gleichermaßen Legalität und Legitimität.

Dies ordnet sich in ein „leviathanisches“ Staatsverständnis der Bundesrepublik ein, mit zunehmend verminderter Rechtssicherheit in Bezug auf Eigentum. Wenn derart einschneidende Eingriffe in konstitutive Eigentumsrechte verfassungsrechtlich gedeckt sind, dann sind wesentliche Verfassungsgarantien relativiert. Deutlich wird dies an rückwirkenden Steuergesetzen und Besteuerungen, die die Leistungsfähigkeit der Besteuerten – ob Individuen oder Unternehmen – eindeutig überschreiten. Zwei aktuelle Extremfälle sind die zu erwartenden Regelungen bei der Erbschaftssteuerreform – auch einem Eigentumstatbestand – oder das Heranziehen von Mieten und Pachten, also Kosten, zur Bemessung der Gewerbsteuer. Vor allem ersteres wird im Osten ungenügend reflektiert, weil landwirtschaftliches Eigentums als Ausdruck individueller wirtschaftlicher Unabhängigkeit besonders nachhaltig zerstört wurde.

Eine Restitution, verbunden mit einer „Residenzpflicht“, hätte in erheblichem Maße Eigentum vor Ort halten können und vor allem eine Entwicklung zu eigenständiger „Regionaler Kontrolldichte“ bewirkt. Ohne Unternehmen vor Ort sind Regionen wirtschaftlich fremdbestimmt. Hier ist es egal, ob man von der Bedeutung landwirtschaftlicher Unternehmen für die besiedelte Fläche – auch als Nachfragestabilisator durch die Verwurzelung – oder des gewerblichen Eigentums in den kleinen, mittleren oder großen Zentren spricht. Das Unternehmertum ist die mikroökonomische Seite des Wachstums als makroökonomisches Ergebnis. Daraus folgt die zweite Aussage:

(2) Ohne wirtschaftlich produktives Privateigentum ist eine liberale und bürgerliche Gesellschaft nicht denkbar, weil das Prinzip der Selbstverantwortung nur mit einem Rückfall auf eigens Eigentum möglich und zu verantworten ist – der alternative Rückfall auf den Staat erzeugt eine Transferempfängergesellschaft.

Ein erheblicher Teil des privaten wirtschaftlich produktiven Eigentums im Osten wird heute von Gebietsfremden kontrolliert. Nimmt man das Erbschaftssteueraufkommen 2005 von 4.1 Mrd. € als Referenz, so wird dies deutlich: Pro Einwohner lag das Aufkommen im Osten bei rund 5 €, im Westen bei rund 50 €. Fehlende Unternehmenssitze im Osten (von den 100 größten Unternehmen Deutschlands sitzen nur 3 im Osten, nämlich in Berlin, und ebenso fehlen große Mittelständler, vor allem solche, die global tätig sind) bedeuten ungenügende Steuern vor Ort und eine Transferabhängigkeit – fiskalisch und mental – ganzer Landstriche. Damit erklärt sich auch der konstante prozentuale Abstand im Einkommen zwischen Ost und West während der letzten zehn Jahre. Eine unterentwickelte private Forschungslandschaft erzeugt auf Dauer technologische Abhängigkeiten, die kein nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. Das führt zur dritten Ausage:

(3) Wenn es eine Parallelität von Kultur und Unternehmertum gibt, weil Unternehmertum kulturelle Wurzeln hat, zugleich ohne Unternehmen und ihren über die Steuern hinausgehenden Kulturbeitrag keine Kulturlandschaft zu finanzieren ist, dann muß sich die gesamtdeutsche Gesellschaft die Frage, stellen, welche Gesellschaft sie im Osten wirklich will.

Wenn jeder Versuch, eine neue Struktur aufzubauen, dadurch begrenzt wird, daß die entsprechenden Träger innerhalb von kürzester Zeit in den Westen abwandern, dann wird dies nur sehr langsam gelingen. In einer Region, in der es keine großen Unternehmenssitze gibt, ist es annähernd unmöglich, einen großen Förderer für ein Orchester, ein Theater oder eine Oper zu finden – die Chefs der verlängerten Werkbänke haben für solche Zwecke allenfalls minimale Budgets. Wenn in einer Gesellschaft höchstens 30% der Bevölkerung Kirchensteuer zahlt, dann wird es nicht gelingen, die sakralen Kulturbauten aufrechtzuerhalten, es sei denn, es gibt glücklicherweise wie an vielen kleinen Orten entsprechendes bürgerliches Engagement.

Betrachtet man die ab dem Jahr 1972 von Honecker enteigneten gewerblichen Unternehmen, die in erheblichem Maße international tätig waren, so fällt deren seinerzeitiger Produktivitätsvorsprung von bis zu 50% gegenüber der Restwirtschaft ins Auge – damit erwirtschaftete die DDR in erheblichem Maße ihre Devisen. Die Restitutionen noch zu DDR-Zeiten gleich nach der Wende waren die Basis für eine Vielzahl erfolgreicher Unternehmen im Mittelstand, von denen es viel zu wenige heute gibt. Es ist nicht vermessen zu behaupten, daß diejenigen, die als nicht mehr Gebietsansässige seinerzeit ausgeschlossen waren, bei Rückkehr sicher einen analogen Beitrag hätten leisten können – möglicherweise sogar einen größeren wegen der erhöhten internationalen Vernetzung. Daraus folgt die vierte, letzte Aussage:

(4) Vor allem der viel zu schmal aufgestellte gewerbliche Mittelstand hätte von einer Restitution profitiert, weil hier der Grad der Internationalisierung zu niedrig liegt - die Internationalisierung stellt eine stetige „Peitsche“ der Produktivitätserhöhung dar und ist erforderlich, um die ostdeutsche Leistungsbilanzlücke zu schließen, weil die eigene Produktion nur zwei Drittel der Nachfrage erreicht.

Kann man heute noch etwas richten? Mit Sicherheit! Man könnte Rückkehrwilligen, die zugleich investieren, einen Investitionsbonus zahlen, vor allem um das Problem der Nachfolge im Mittelstand zu lösen. Denn in den kommenden Jahren sind inzwischen wohleingeführte Unternehmen in der Existenz gefährdet, weil es an Erben fehlt. Rund zehn Prozent werden nach gegenwärtigem Stand vermutlich stillgelegt, rund 20% an gebietsfremde verkauft, verlieren also ihren Firmensitz. Insofern gäbe das eine Chance, Rechtsfrieden herzustellen und zugleich ein neu entstehendes Problem im Osten zu lösen. Dies betrifft auch die Land- und Forstwirtschaft. Denn ohne „Umgriff“ werden viele Anwesen, die im Rahmen der Privatisierung von den Flächen getrennt sind, nicht lebensfähig sein. Letztlich liegt es nicht im Interesse einer industriellen Landwirtschaft, Kulturgüter zu erhalten, die nur negative Renditen besitzen – aber vielleicht im Interesse in der Region historisch verankerter Familien.