Wie aus DDR-Unrecht BRD-Unrecht wird - Die Demaskierung des Vermögensgesetzes
Wie aus DDR-Unrecht BRD-Unrecht wird Die Demaskierung des Vermögensgesetzes
von Rechtsanwältin Catherina Wildgans, 12.11.2001
Als mir als "Wessi" die Möglichkeit geboten wurde, bei einem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen in den neuen Bundesländern zu arbeiten, hatte ich keine Ahnung, wieviele neue Gesetze ich dazu brauchen würde und welchen Inhalt diese hatten. Eines aber war mir klar: es sollte darum gehen, den durch DDR-Gesetze geschädigten Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen. Der erste Blick in das damalige Vermögensgesetz machte deutlich, daß es wenige sogenannte Rückübertragungsvorschriften, aber dafür eine Vielzahl von Ausschlußvorschriften gab. Letztere wurden großzügig angewandt, die ersteren eher zurückhaltend. Das war gleichbedeutend damit, daß wesentlich mehr Rückübertragungsanträge würden abgelehnt werden müssen, als daß es stattgebende Bescheide gegeben hätte. Trotzdem oder gerade deshalb wollte ich mithelfen, möglichst vielen unrechtmäßig enteigneten Bürgern ihr Eigentum wieder zu beschaffen.
Die ersten Illusionen waren nach zweiwöchiger Tätigkeit vergangen, die weiteren folgten, als nach ca. vierwöchiger Arbeit ein Lehrgang stattfand, an dem die Begründer des Vermögensgesetzes dieses erläutern sollten. Die Erklärungen schienen mir und meinen Kollegen, fast alle Rechtsanwälte aus Westdeutschland, wie aus einer anderen Welt, denn die Weise, in der wir in der Praxis die Vorschriften anwenden sollten, hatte hiermit nichts zu tun. Nach Erörterung der herausragendsten Diskrepanzen hieß es lapidar: ,,So haben wir das nicht gemeint". Wie sollten wir also entscheiden - so, wie es "gemeint" war oder so, wie es im Gesetz stand?
Es stellte sich im Laufe der Zeit heraus, daß eine Übereinstimmung der Gesetzestexte mit den Entscheidungen des Landkreises, in dessen Namen ja letztlich die Bescheide ergingen und natürlich mit den ehemaligen Mitarbeitern besetzt waren, nur selten festzustellen war. Im schlimmsten Fall kam es ja sogar vor, daß ein Sachbearbeiter vor Jahren die Enteignung durchgeführt hatte und in der gleichen Sache heute über die Rückübertragung des Eigentums entscheiden sollte. Ein Beispiel hat mir besonders zu denken gegeben:
Die Familie X. hatte das Stadtgebiet im Jahre 1954 verlassen, weil ihr das Regime zu streng und der Lohn für die Arbeit zu gering war, also freiwillig. Sie ließ eine umfangreiche Landwirtschaft zurück und wurde nach der Verordnung vom 17.07.1952 enteignet. Grundsätzlich sollte nach dem späteren Vermögensgesetz jeder, der nach derartigen ausschließlichen DDR-Vorschriften sein Eigentum verlor, dieses zurückerhalten. Die Familie hatte sich zwischenzeitlich, sicher mit einigen Entbehrungen, aber wegen der positiven Wirtschaftsentwicklung erfolgreich ein neues Unternehmen aufgebaut. Sie erhielt 1995 ihre umfangreichen Ländereien zurück, die im höchsten Maße gewinnbringend veräußert wurden.
Ein anderer Landwirt Y. blieb mit seiner Familie, wo er war und quälte sich vermutlich jahrzehntelang mit den Abgabesolls, der politischen Situation und dem geringen Lohn. Er hielt aus bis 1983. Dann beschloß das Ministerium, auf der Fläche, die einst seine Äcker waren, eine Neubausiedlung erstehen zu lassen. Die gesetzliche Grundlage hierfür war das ursprüngliche sogenannte Aufbaugesetz, später das fast inhaltsgleiche Baulandgesetz. Danach durfte jeder enteignet werden, wenn die Grundfläche für die Errichtung von Wohnraum oder öffentlichen Gebäuden vorgesehen war.
Dabei fragte vermutlich niemand danach, ob es nicht auch eine andere Fläche gegeben hätte oder der Bau tatsächlich notwendig war. Die Entschädigung für die Enteignung fiel nach DDR-Maßstäben aus. Man könnte annehmen, daß diese Vorgehensweise mindestens so schlimm wäre wie die Enteignung, nachdem jemand das Land verlassen hatte. Bauer X. hatte schließlich wissentlich sein Eigentum zurückgelassen und hatte offensichtlich auch nicht die Absicht, jemals zurückzukehren. Das Bürgerliche Recht spricht noch heute von einer ,,Besitz- und/oder Eigentumsaufgabe". Danach steht niemandem mehr ein Rückgabeanspruch zu. Bauer Y. demgegenüber wollte aber sein Land weiter nutzen und mit der Enteignung wurde ihm die Existenzgrundlage entzogen. Dafür hätte er doch wenigstens nach Beseitigung der alten Verhältnisse sein Eigentum zurückerhalten müssen. Aber weit gefehlt: er erhält nichts zurück! Nicht einmal eine noch so kleine Entschädigung erhält er, wie sie alle diejenigen erhalten, deren ehemaliges Land heute bebaut ist und nicht zurückgegeben werden kann. Bei ihm wäre gar nichts zurückzugeben, denn er wäre nicht aufgrund von ,,diskriminierenden Vorschriften" enteignet worden, sondern nach ,,geltendem DDR-Recht"! Dieses Ergebnis fand ich niederschmetternd und denkbar ungerecht - anstatt DDR-Unrecht zu beseitigen, wurde hier neues Unrecht geschaffen.
Viele Fälle dieser Art ließen sich aufzählen, so derjenige des Fabrikanten, der seine Waren ins kapitalistische Ausland exportierte dem Staat dafür enorme Einnahmen verschaffte und letztlich enteignet wurde, weil er sich nicht ausdrücklich zu seiner Regierung bekannte (aber sich auch nie dagegen äußerte). Seine Fabrik, seine Betriebsfläche, sein Haus und sein Unternehmen wurden eingezogen, er selbst und seine Familie des Landes verwiesen. Einen Ausgleich erhielt er damals nicht. Sein Rückübertragungsantrag bzgl. der Immobilien wurde auf den Umstand gestützt, daß die staatliche Macht mißbraucht worden war. Dieser war ausdrücklich im Gesetz als Rückübertragungsgrund aufgeführt. Aber keineswegs erhielt er aufgrund dieser auch nachgewiesenen Umstände sein Eigentum zurück. Lediglich für sein Unternehmen, das zwischenzeitlich mit einem anderen fusioniert war, natürlich durch staatliche Regelung, aber sich mittlerweile in Liquidation befand, erhielt er eine geringe Entschädigung.
Ein wesentlicher "Unrechtsfall" ist auch das Landwirtschaftsanpassungsgesetz und seine Folgen. Tausende von ehemaligen LPG-Mitgliedern, die jahrelang schwer gearbeitet und ihre Bodenflächen als Produktionsmittel den Genossenschaften zur Verfügung stellten, sind leer ausgegangen, wenn es um die Frage der gesetzlich vorgesehenen Abfindung ging. Die Erklärung der Nachfolgegesellschaften, es sei kein einsetzbares Kapital vorhanden gewesen, reicht meist aus, um sie von allen Ansprüchen freizustellen. Diejenigen, die versuchten, mit der Hilfe von Gerichten zu ihrem Recht zu kommen, wurden bitter enttäuscht. Diese meinen gar, jeder hätte sich im Jahre 1990 einen Rechtsanwalt nehmen können und müssen, wenn er die Rechtslage nicht selbst kannte Dabei gab es das Landwirtschaftsanpassungsgesetz erst seit Juli 1991! Also hatte auch ein Rechtsanwalt zu diesem Zeitpunkt nicht die Möglichkeit, eine zutreffende Beratung durchzuführen. Und außerdem: wo und wieviele gab es denn in den ländlichen Gebieten?
Ein anderes Thema ist die Bodenreform. Hier wurde aufgrund eines Gesetzes aus dem Jahre 1994 den ehemaligen Eigentümern, die gerade glücklich die Umschreibung der Grundbücher auf ihren Namen bewirkt hatten, ihr Eigentum wieder entzogen. Eine zweite ,Enteignung? Nein, es stände alles im Einklang mit dem Grundgesetz, sagt das Bundesverfassungsgericht, denn die jetzigen Eigentümer seien niemals "richtige Eigentümer" gewesen.
Anhand dieser Beispiele wird deutlich, daß es wohl niemals gelingen wird, das damals geschehene Unrecht rückgängig zu machen, vielleicht ist es auch nicht gewollt. Daher ist es umso wichtiger, daß jeder einzelne um sein Recht kämpft und nicht nach dem ersten ,,Tiefschlag" wieder aufgibt. In der Zwischenzeit haben sich soviele Geschädigte zusammengefunden, daß es mit vereinter Kraft auch gelingen müßte, die Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die Eigentums- und Vermögensverhältnisse im weitesten Sinne wenigstens in Zukunft so zu ordnen, daß wieder von einem Rechtsstaat anstatt von einem "Unrechtsstaat" gesprochen werden kann.
Grimmen, 11.10.2001 - gez. C. Wildgans