Paul Albrecht, 1902 als Sohn eines Arbeiters und einer Wäscherin in Erfurt geboren und gelernter Werkzeugschlosser, war von 1945 bis 1949 von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzter Landrat in Genthin.
Bodenreform Verfolgung 1945 ...Wiederaufnahme des Themas und Aufklärung
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Genossen! Ich eröffne hiermit die Sitzung über die Bodenreform-Frage und erteile Herrn Landrat Albrecht das Wort.
Liebe Freunde! Wir haben uns heute wieder einmal versammelt, um zu einer Reihe Fragen Stellung zu nehmen und um vor allen Dingen eine Anzahl strittiger Punkte zu klären. Das Schwere, das da vor uns steht, ist Ihnen ja allen bekannt aus Ihrer bisherigen Arbeit. Aber das erste von allen, das ist, einen genauen Überblick zu bekommen über den Stand unserer Bewegung überhaupt. Wenn wir mit Ihnen zusammenkommen, hören wir und werden zu Ihnen sprechen, sehen wir, daß Sie schon eine große Arbeit geleistet haben; aber eine Arbeit ist immer dann erst gar, wenn sie schwarz auf weiß auf dem Papier steht.
Es ist notwendig, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, hier noch eine Anzahl von Fragen durchzusprechen. In den letzten Tagen stellte sich folgendes heraus: Da kamen die verschiedenen Inspektoren von den einzelnen Gütern und sagte uns: Das Enteignen des Landes ist sehr schön, aber das Gut, wo ich Verwalter bin, ist nicht aufzuteilen, da müssen wir ein Saatgut draus machen.
So geht das nicht. Das ist schon ein Stück Sabotage. Wenn eben die Bodenreform vorsieht, daß die großen Güter über 100 ha enteignet werden, dann werden sie enteignet, und wenn es heißt, sie werden aufgeteilt, dann werden sie aufgeteilt. Ich habe schon das letzte Mal gesagt, die größte Gefahr, vor der wir stehen, ist unsere deutsche Sentimentalität, unsere Gefühlsduselei. Wir sind alle sehr weich, und diese Weichheit wirkt sich diesmal wirklich drastisch aus.
Da schreibt man mir z.B.: "Familie von ... (Name in Vorlage geschwärzt, die Red.) ist immer gut zu uns gewesen. Wir bitten, sie darum von der Enteignung auszunehmen." Es ist gut gemeint von den Freunden dort im Dorf, aber das geht zu weit. Die Familie von ... (geschwärzt) ist eben die Familie von ... (geschwärzt), ist eben eine Junker-Wirtschaft; und aus der Familie von ... (geschwärzt) ist mancher Offizier geboren, man hat das Land der Bauern genau so geraubt wie alle anderen Großgrundbesitzer auch. Ist es denn so etwas Schweres, wenn wir einmal eine Junker-Familie zwingen, ihr Leben genau so zu gestalten wie wir es von der Geburt an gestalten müssen. Ist es denn eine Strafe für diese? Er soll mit seiner Hand Arbeit sich ernähren.
Frau von -geschwärzt- z.B. erklärt: Ja, ihr könnt mir Grund und Boden enteignen, und ihr könnt mir auch das Gut enteignen, aber mein Hab und Gut könnt Ihr mir nicht enteignen, mein Heim könnt Ihr mir nicht nehmen. Aber sie irrt sich. Was sie auf einen Möbelwagen bringt, das kann sie mitnehmen, das andere bleibt drin, das brauchen wir wieder für den, den wir dort hineinsetzen. Wir werden ihr ein Bett mitgeben, einen Schrank, Tisch, Stuhl, ihre persönliche Wäsche, die sie unbedingt braucht; denn beschlagnahmt sind auch die persönlichen Dinge der bisherigen Besitzer. Wir geben ihnen aber so viel, wie sie benötigen.
Ich habe schon gesagt, wir müssen hier sehr vorsichtig sein, wir wollen nicht jeden enteignen, der einmal im Dorf "Heil Hitler" gesagt hat oder der im Dorf aufgestanden ist und hat gesagt: "Der Hitler hat Recht". Das ist kein Grund, ihn dafür zu enteignen. Er muß Aktivist gewesen sein, er muß eine führende organisatorische Rolle gehabt haben, er muß Ortsgruppenleiter gewesen sein oder eine andere Rolle, in der er Befehlsgewalt ausgeübt hat, innegehabt haben. Wenn er nicht (offensichtlich ist das Wort "nicht" an dieser Stelle ein Fehler, die Red.) Arbeiter denunziert hat, wenn er nicht (offensichtlicher Fehler, die Red.) Bauern der Gestapo gemeldet hat, wenn er sich Schändlichkeiten zuschulden kommen ließ, wenn durch ihn Menschen in Konzentrationslager gekommen sind, dann haben wir die Pflicht, ihm Grund und Boden zu nehmen.
Sie haben die II. Ausführungsbestimmungen zur Bodenreform gestern in der Zeitung gehabt. Ich bitte die Kommission dringend, diese Ausführungsbestimmungen durchzulesen und noch eins: Ich habe betont, die Kreis-Kommission ist bereit zu helfen, und wir haben noch Schwächen, unsere Arbeit hat noch sehr große Schwächen. Weniger liegen diese Schwächen darin, daß wir alle Statistiken zusammen haben, aber die weitgehendste Schwäche, die wir haben, die liegt auf dem politischen Gebiet. Ich habe von Anfang an betont, unsere Aktion muss eine politische Aktion sein, die Bauern sollen überzeugt werden, was wir tun. In jedem Dorf muß den Bauern gesagt werden, warum wir die Bodenreform durchführen, das Verbrechen Adolf Hitlers am ganzen deutschen Volk muß ihnen noch einmal klar vor Augen gelegt werden. Aber es gibt bei uns auch noch Orte, in denen keine Versammlungen stattgefunden haben, und das ist eine große Schwäche unserer Arbeit.
Die Bauern dort müssen politisch unterrichtet werden. Es ist klar, die einzelnen Männer der Dorfkommission, von denen kann man doch gar nicht verlangen, daß sie in der Lage sind, sich politisch auf dem Laufenden zu halten. Man kann von den Männern der Dorfkommission im augenblicklichen Zustand nicht verlangen, daß sie politische Aufklärung an die Dorfbewohner geben. Aus diesem Grunde bitte ich Sie: Setzen Sie Versammlungen an, Sie brauchen keine Sorge zu haben, wenn Sie die Versammlung ansetzen und die Versammlung hierher melden an das Landratsamt, an die Boden-Kommission oder die K.P.D., so steht Ihnen unter allen Umständen ein Redner zur Verfügung. Ein Versetzen der Veranstaltung gibt es unter keinen Umständen. Sie können ohne Sorge Versammlungen ansetzen und melden uns: Morgen Abend findet bei uns eine Versammlung statt, und dann ist ein Redner dort, Sie haben dann die politische Unterstützung. Vergessen Sie nicht, daß das die ganze Grundlage unserer Arbeit ist. Wenn wir nur bürokratisch arbeiten, wird sich eine Mißstimmung bemerkbar machen. Die Bauern müssen aus innerer Überzeugung "ja" sagen.
Die Ausführungsbestimmungen verlangen z.B. genau, welche Arbeit durchzuführen ist. Z.B. sagen sie hier in Artikel 4 § 6: Die Gemeinde-Bodenkommission stellt folgende Listen auf: 1. Anwärter auf eine Bodenzulage. Hierzu ist die genaue Angabe des bisherigen Grundbesitzes, Eigentum und Pachtland nebst lebendem und totem Inventar notwendig. Ferner ist anzugeben, wie viele Menschen in dieser Wirtschaft beschäftigt sind und wie viele darauf wohnen. 2. Anwärter auf eine Neubauernstelle, das sind also Landarbeiter und Landwirte, die gar kein Land besitzen. In diese zweite Liste kommen alle, die kein Land besitzen und in die erste Liste die kleinen Bauern unter 5 ha. Die zweite Liste Landarbeiter und landlose Bauern. 3. Flüchtlinge und Umsiedler, die Neubauernstellen erwerben wollen. In der Provinz-Kommission sind die Listen dafür in Auftrag gegeben in einer Sitzung, die wir gestern mit der Regierung hatten, wurde uns gesagt, wir bekommen sie vielleicht morgen; ehe wir sie Ihnen zustellen könne, wird es vielleicht Ende der Woche.
Aber es wurden uns zum größten Teil nur die Namen genannt, wir brauchen dazu folgende Angaben: Name, Beruf - wenn er ein Bauer ist, wie viel Land hat er zu eigen. Es sind uns Fälle bekannt geworden, daß in diesen Kommissionen Bauern sind mit 60-80 Morgen Land. Nach den Vorschriften des Gesetzes dürfen nur Bauern unter 5 ha Eigenland in der Kommission sein. Es besteht doch eine Gefahr, wenn diese größeren Bauern darin sind. Vergessen Sie nicht, daß da manches Wort gesagt werden kann, was Ihre Arbeit hindert. Denn diese größeren Bauern und Landwirte sind zum großen Teil alle miteinander verschwägert und vervettert, und wenn sie dann selber 80 und noch mehr Morgen haben, und es wird Stellung genommen zu der Enteignung eines aktiven Faschisten, und man ist irgendwie verschwägert mit diesem, dann kommen die Hemmungen. Diejenigen, die kein Land besitzen, sind bereit und befugt, in der Kommission zu entscheiden. Sie besteht aus Landarbeiten und landlosen Bauern, Flüchtlingen.
Wir dürfen niemals in die Lage kommen, daß einer der zur Enteignung Kommenden Klage einreichen kann späterhin mit der Begründung, da sind Formfehler vorgekommen, da hat man eine Kommission gebildet, die nach den Vorschriften des Gesetzes nicht maßgebend ist. Wenn Sie nämlich in einer Sitzung die Listen der Bodenanwärter aufgestellt und sie ausgehängt haben, und wenn Sie diese Listen dann in einer allgemeinen Versammlung abstimmen lassen, sind Sie vom Gesetz zum Gesetzgeber gemacht worden. Sie beschließen damit einen juristischen Akt.
Aber juristisch müssen wir auch dann den Wortlaut des Gesetzes einhalten. Wenn nun einer kommt und sagt, ich bin enteignet worden von einer Kommission, in der ein Bauer mit mehr als 5 ha Land ist, dann ist ein Fehler vorgekommen.
Die Bildung der Komitees für gegenseitige Bauernhilfe können schon vor der Bodenaufteilung geschehen. Für uns habe ich die Anweisung gegeben: ab 25. Dezember. Da nehmen wir ein paar intelligente Menschen, die das Zuteilen und das Ausleihen der Werkzeuge und Maschinen auch wirklich durchführen können. Wir wollen diesen Komitees nicht nur die Aufgabe geben, für neu gesiedelte Bauernstellen die Maschinen auszuleihen, sondern sie sollen die Organe sein der gegenseitigen Hilfe, der Organisierung im Dorf. Wenn irgendwie Schwierigkeiten sind, dann soll er sich vertrauensvoll an das Komitee der gegenseitigen Bauernhilfe wenden, und dann soll das Komitee in der Lage sein, den Bauern zu helfen, so z.B. die gegenseitige Hilfe bei der Feldbestellung, bei der Ernte usw., denn ohne gegenseitige Hilfe ist unser Leben undenkbar. Wenn wir im Dorf nicht wirklich dieses zu verstehen schaffen, wird unsere Arbeit ohne Früchte sein, dann werden wir aus dem Chaos nicht herauskommen. Man muß es immer wieder in die Gehirne hineinhämmern: Nur durch gegenseitiges Zusammenstehen kommen wir über die Schwierigkeiten hinweg. Nicht der einzelne kann und soll sich retten, sondern wir wollen unser Volk retten, das ist die große Aufgabe, und der Einzelne wird dadurch gerettet. Die Komitees der gegenseitigen Hilfe wollen wir also organisieren.
Hat z.B. einer gestohlen und kommt nach Genthin zur Aburteilung, wird er sich sehr wundern, denn da sitzt nämlich eine Frau als Amtsrichterin, und von ihr wird er in den Keller gesteckt. Aber so ist es. Lenin hat einmal gesagt: Eine Köchin muß in der Lage sein, den Staat zu regieren. Wir müssen uns von diesem Gedanken, daß die Frauen das nicht können, rücksichtslos lösen. Eine Frau kann auch Bauer sein; wenn der Mann nicht da ist, kann sie Land erwerben wie jeder andere auch. Weisen Sie bitte keine Frau ab, wenn sie landwirtschaftliche Kenntnisse hat, nehmen Sie die Frau an.
Nicht nur im Dorf wird so gedacht. Ich bekam vor einigen Tagen den Brief: "Ich habe festgestellt, daß in Parey eine Frau als Bürgermeisterin ist. Aus diesem Grund bewerbe ich mich um die Stelle der Bürgermeisterin." Er bewirbt sich also darum, nicht, weil die Frau als Bürgermeisterin versagt, sondern weil es eben eine Frau ist als Bürgermeister. Dieser Mann ist also höchst empört darüber, daß eine Frau Arbeit leistet in der Öffentlichkeit. Die Tatsache bleibt bestehen, daß die Bürgermeister von dieser Bürgermeisterin in Parey manches noch lernen könnten. Diese rückständigen Gedankengänge dürfen in der Frage der Bodenreform nicht auftreten.
Bei der Verteilung des Bodens gehen wir hier vom Ackerland aus, denn nur vom Ackerland lebt man doch. Etwas befinde ich mich hier im Gegensatz zum Gesetz. Das Gesetz sieht vor: 5 ha Land sollen vergeben werden. Sievers, der Präsident von Halle, erklärt, es geht nicht anders, wir müssen so viel wie möglich unterbringen. Man soll als Grundlage aber zuerst einmal das Ackerland sehen, denn davon will er ja leben. Wir haben Grundstücke, wo man mit 20 Morgen nicht einmal leben kann. Das sind Einzelfragen, die die Bodenkommission klären kann. Zuhören können sie alle aus dem Dorf, auch die großen Bauern, aber Sie organisieren die Sache so, daß diese hinten sitzen und die Landarmen sitzen vorn zum abstimmen. Es soll alles öffentlich sein. Die Abstimmung machen die Landarbeiter und landarmen Bauern, ob sie Bodenanwärter sind oder nicht.
Bitte sorgen Sie dafür, daß die Fragebogen, die Sie nachher an der Tür in Empfang nehmen, auf das genaueste ausgefüllt werden. Da ist u.a. auch die Parteizugehörigkeit erwähnt, da wollen wir wissen, ob einer in den 4 Parteien des antifaschistischen Blocks ist, denn Nazis gibt es ja nicht mehr, die Partei ist ja aufgelöst, die ist weg. Wenn trotzdem noch da steht: NSDAP, dann holen wir ihn ab mit dem Knüppel, die Kommandantur hat uns freie Hand gegeben. In jedem Dorf können die Parteiinteressenten sich abends mal zusammensetzen und sagen; wir gründen in unserem Ort eine KPD, eine SPD, eine christlich-demokratische oder eine liberaldemokratische Partei. Diejenigen, die im Dorf eine Parteigruppe bilden, gehen nach Genthin, suchen die KPD oder SPD auf und sagen: Wir wollen eine Parteigruppe bilden, und die Partei in Genthin wird Euch unterstützen. In jedem Dorf können und sollen sich die Parteien bilden. Bilden sich mehrere Parteien im Dorf, müssen sie einen Block bilden. Sie kommen mit ihren Führern zusammen, besprechen bestimmte Fragen und treffen dann ihre Entschlüsse. Schaffen Sie diese Parteien, denn durch das politische Leben im Dorf wird unsere Arbeit leichter. Heißt aber die Frage einmal: "frühere Parteizugehörigkeit", dann muß stehen, nicht was er heute ist, sondern was er früher gewesen ist: NSDAP. Das müssen Sie auseinander halten.
Dann zu der Frage der Flüchtlinge und Umsiedler. Sie müssen uns angeben, von wo sie kommen, welchen Beruf sie haben, wie viel Familienmitglieder, welche Parteizugehörigkeit. Wichtig dabei ist eins: Angesiedelt werden nur Bauern oder Landarbeiter. Setzen Sie nicht irgendwelche Schneidermeister ein als Bauern, die würden doch nach einem Jahr bankrott machen. Die Erfahrungen können Sie ihm doch nicht geben, und auch die gegenseitige Hilfe würde einen völlig ungeschulten Mann nicht in die Lage setzen, daß er Grund und Boden bearbeiten kann.
Nun noch eine wichtige Bemerkung: Die Bestellung wird von den bisherigen Besitzern geführt. Sobald einer sagt, jetzt geht mich die Sache nichts mehr an und steckt die Hände in die Hosentasche, wird er sofort aus der Gemeinde ausgewiesen zusammen mit seiner Familie. Er hat unter Ihrer Führung weiterzuarbeiten, die Arbeit muß mit gleicher Energie durchgeführt werden wie bisher, es darf nichts liegen bleiben.
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Deutschland: Wer war Paul Albrecht?
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Dokument erstellt am 28.11.2008 um 12:59:04 Uhr
Erscheinungsdatum 28.11.2008
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